Die besten Album-Triples der Rock- und Metal-Geschichte, Teil 4: BLIND GUARDIAN

Ein Artikel von Cornholio vom 30.04.2020 (21556 mal gelesen)

Prolog



Zu meinem ersten Beitrag der unregelmäßigen "Triples"-Serie hier im Bleeding gehen wir nach Krefeld in die erste Hälfte der 1990er Jahre. Dort haben Hansi Kürsch, André Olbrich, Marcus Siepen und Thomen Stauch, besser bekannt als BLIND GUARDIAN, Ende der Achtziger ihre ersten beiden Studioalben "Battalions Of Fear" und "Follow The Blind" veröffentlicht. Auch wenn diese Scheiben noch etwas roh und teilweise holprig klangen, so war doch bereits damals das Potential schon zu erahnen.

Eine schöne Randnotiz: Mit dem ersten Album dieser Reihe begann eine enge Zusammenarbeit mit Zeichner Andreas Marschall, der außer diesen drei Alben auch für das Cover des darauffolgenden Werks "Nightfall In Middle Earth" verantwortlich war.

Los geht's



"Tales From The Twilight World" (29. April 1990)
Songtitel: 10
Spieldauer: 44:02

Nur etwas mehr als ein halbes Jahr nach dem Release von "Follow The Blind" kam bereits das neue, dritte Album der "Blinden Gardinen". Im Fachjargon hört man ja oft, dass Album Nummer drei ein "Make it or break it"-Album ist, und im Nachhinein weiß es jeder, mehr "Make it" geht wohl kaum. In einer solch kurzen Zeit ein dermaßen großen qualitativen Sprung hinzubekommen, hätte den vier Krefeldern wohl kaum einer zugetraut. "Tales From The Twilight World" beinhaltet zwar noch einen Teil der Härte der ersten beiden CDs, aber es wird wesentlich mehr Fokus auf die Melodien gelegt. Außerdem befindet sich mit 'Lord Of The Rings' eine erste Ballade der Band auf der "Tales...".

Das Album lässt die Kritiker verstummen, die BLIND GUARDIAN schon als nur eine weitere Speed- / Thrash-Band mit Fantasy-Texten abgetan haben. Geschwindigkeit ist weiterhin vorhanden, die Themen der Lyrics haben sich ebenfalls nicht verändert (und werden es wohl auch nie), aber der "Knüppel aus dem Sack"-Faktor wird um einiges zurückgefahren. Nicht nur die unfassbar melodischen Soli von André, auch die Drumbreaks von Thomen und der Ansatz erster Chöre entwickelten sich mehr und mehr zu typischen Trademarks der Rheinländer. Aber so ganz ist der Thrash noch nicht aus der Musik gewichen, 'Tommyknockers' ist ein Brecher vor dem Herrn, und das inklusive super-melodischem Solo im Mittelteil. Einzig das kurze und düstere 'Altair 4' will nicht so ganz zum Rest der Scheibe passen.

Bezeichnend für den Stellenwert, den "Tales From The Twilight World" auch Jahre und Jahrzehnte später noch bei den Fans hat, ist die Anzahl der Songs, die sich bis heute regelmäßig im Live-Programm der Barden befinden: 'Welcome To Dying', 'Lost In The Twilight Hall' (nach 'Valhalla' vom Vorgänger der zweite Song, auf dem Kai Hansen [damals HELLOWEEN] ein paar Gesangszeilen übernimmt, außerdem mein persönlicher Lieblingssong der Band), 'The Last Candle' (allein wenn ich an das BLIND GUARDIAN Open Air 2003 denke, kriege ich eine Gänsehaut!) und mit Abstrichen 'Lord Of The Rings', letzterer meist in der Version von der 1995er Quasi-Compilation "The Forgotten Tales".


"Somewhere Far Beyond" (29. Juni 1992)
Songtitel: 13
Spieldauer: 55:04

Zwei Jahre später (ja, damals hat die Band wirklich noch REGELMÄßIG Alben veröffentlicht) ging es mit "Somewhere Far Beyond" in die vierte Runde. Diese Scheibe hob die Band vor allem kommerziell auf die nächste Stufe. Sie beginnt mit einem akustischen Gitarrenintro, ehe nach gut 40 Sekunden die E-Gitarren anfangen zu shreddern, und auch wenn 'Time What is Time' nicht zu den Highlights der CD zählt, ist es hier doch der perfekte Opener.

Ohne "aufzuweichen" gibt es auf dem Album fast gar keinen Thrash mehr, BLIND GUARDIAN perfektionierten ihren melodischen Stil weiter. Der bandinterne Trend für Mitsing-Refrains wurde fortgesetzt und es gab auch ein paar Songs für den Midtempo-Sektor ('Theatre Of Pain', das grandiose 'The Quest For Tanelorn', Songwriting-Credits und Gitarrenleads und -soli einmal mehr von Kai Hansen). Neben dem kurzen 'Black Chamber' beinhaltet diese Scheibe den wohl größten Hit der Band: 'The Bard's Song - In The Forest', oft nur als 'The Bard's Song' bekannt und erwähnt. Diese Ballade fehlt wohl seit Veröffentlichung auf keinem der Konzerte, außerdem hat die Band den Song 2003 neu aufgenommen und als Single veröffentlicht. Auch der "große Bruder", "The Bard's Song - The Hobbit' (oder kurz 'The Hobbit', mir persönlich lieber als die Ballade, allein schon wegen dem geilen Intro-Riff) wurde neu aufgenommen, allerdings für die Anfang 2012 erschienene Best-Of-Compilation "Memories Of A Time To Come". Das Grande Finale auf "Somewhere Far Beyond" ist jedoch der Titeltrack, siebeneinhalb Minuten geballt voller Melodie und Power, dazwischen sogar ein Dudelsack, und natürlich wieder ein toller Chorus zum Mitsingen.

Die als "Bonus Tracks" betitelten Cover 'Spread Your Wings' (QUEEN) und 'Trial By Fire' (SATAN) sind wohl als Huldigung vor den beiden Bands zu verstehen, vor allem QUEEN sollte in den weiteren Outputs von BLIND GUARDIAN eine große Rolle spielen. Die Classic Version von 'Theatre of Pain', ebenfalls ein Bonus Track, beschließt das Album, das übrigens auf Platz eins in den japanischen Charts chartete. Vermutlich war das mitentscheidend für die nächste Veröffentlichung der Band: Das Live-Album "Tokyo Tales", welches ich hier aber nicht weiter beleuchten werde.

"Imaginations From The Other Side" (5. April 1995)
Songtitel: 9
Spieldauer: 48:56

Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Im November 1994 sah ich BLIND GUARDIAN zum ersten Mal live, zum damaligen Zeitpunkt kannte ich die Band (und Heavy Metal generell) etwa ein halbes Jahr, und ich hab mich zum einen auf das Konzert und später natürlich auf die CD gefreut wie Bolle! Am Tag der Veröffentlichung bin ich nach der Schule nach Frankfurt gefahren und hab mir die Scheibe natürlich sofort unter den Nagel gerissen! Die Songs 'I'm Alive' und 'Born In A Mourning Hall' kannte ich ja schon vom Live-Gig ein halbes Jahr zuvor.

Zwei Monate vor Release des Albums kam bereits die Single "A Past And Future Secret" heraus, auf der neben der Ballade (einmal als "normale" und noch als instrumentale Version) schon der Titelsong des folgenden Albums plus das URIAH HEEP-Cover 'The Wizard' vertreten war. Und ich kann es nicht anders formulieren, ich war schon von der Single total weggeblasen! Nicht nur von dem atemberaubenden Cover-Artwork von Andreas Marschall (welches auf meinem Rücken verewigt ist), sondern auch wegen dem grandiosen Song 'Imaginations From The Other Side'.

Angefangen vom Titeltrack bis hin zum neunten und letzten Song mit dem bezeichnenden Namen 'And The Story Ends' ist das Album eigentlich in jeder Hinsicht perfekt. Der Titelsong und Opener fasst das Schaffen von BLIND GUARDIAN zu dem Zeitpunkt eigentlich perfekt zusammen. Mitsing-Refrains und komplexe, aber trotzdem noch gut zugängliche Strukturen, ein Lead jagt den anderen, die Texte lassen jedem Fantasy-Fan das Herz aufgehen, ohne cheesy zu werden, und auch die Härte kommt auch nicht zu kurz. Spätestens beim zweiten Song 'I'm Alive' wird man ziemlich weggeblasen, ehe mit der Single-Ballade etwas Ruhe einkehrt. 'The Script For My Requiem' ist vielleicht der Song, der die ersten Alben und die folgenden Werke am ehesten verbindet. Ich will gar nicht jeden Song einzeln aufzählen, wie gesagt, sie sind alle superb. 'Mordred's Song' muss aber ebenso separate Erwähnung finden wie 'Bright Eyes', das Ende Juni '95 als zweite Single ausgekoppelt wurde. Beide Lieder wurden auf der weiter oben genannten "The Forgotten Tales" in akustischem Gewand neu aufgenommen, und es gibt nicht wenige Anhänger der Band, die jene Versionen den ursprünglichen vorziehen; ich selbst zähle mich aber nicht dazu.

Das Album hat übrigens die ersten beiden BLIND GUARDIAN-Videoclips hervorgebracht (kein Wunder, MTVIVA waren Mitte der Neunziger noch hoch im Kurs, es liefen dort sogar fast nur Musikvideos!), nämlich das flotte 'Born In A Mourning Hall' und das etwas experimentellere 'Brigt Eyes'. Auf der bereits im letzten Absatz genannten zweiten Single sind neben zwei Demo-Versionen von Albumtracks und dem Edit von 'Bright Eyes' noch zwei Cover mit dabei: 'Halleluja' (DEEP PURPLE) und 'Mister Sandman' (THE CHORDETTES). Letzteres sollte schon der erste Vorgeschmack auf "The Forgotten Tales" sein, ein entsprechendes Musikvideo sollte folgen.

"Imaginations From The Other Side" ist übrigens das letzte Album, auf dem Hansi den Bass selbst bedient. Schon auf der Tour zu dem Album lässt er nicht selten sein Instrument einfach hängen (jedenfalls meine ich mich daran erinnern zu können), ab den folgenden Veröffentlichungen bis einschließlich zu "At The Edge Of Time" übernimmt Oliver Holzwarth den Part, auch live, ist aber stets als Gast- oder Sessionmusiker aufgeführt. Die Produktion übernahm übrigens niemand geringeres als Flemming Rasmussen (bekannt durch METALLICAs "Ride The Lightning", "Master Of Puppets" und "...And Justice For All") in den Kopenhagener "Sweet Silence"-Studios.

Nachwort / Disclaimer



Ich möchte mit diesem Artikel ausschließlich meine Vorliebe für diese drei Alben ausdrücken und in keinem Fall die nachfolgenden Werke diskreditieren. Für mich bilden diese CDs die perfekten Alben von BLIND GUARDIAN, auch wenn das folgende "Nightfall In Middle-Earth" bei mir sehr hoch im Kurs steht; die für die Story wichtigen Zwischenspiele gehen deutlich zu Lasten des Hörspaßes, auch wenn einige der Songs vom Niveau her auch in diesen Artikel passen würden. Aus meiner Sicht fing es mit "A Night At The Opera" dann an, zu kompliziert zu werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Hier gibt es die passende Spotify-Playlist zu den drei Alben.

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Es ist ein wenig kurios: habe von BLIND GUARDIAN ziemlich alles, aber gerade diese drei Scheiben nicht (klar, die Hits der drei Alben kenne ich natürlich von diversen Live-Alben). Mein Lieblingsalbum ist übrigens "Nightfall", kann aber jedem Album was abgewinnen.
10/10   (02.05.2020 von des)

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