Cattle Decapitation - Terrasite

Review von Humppathetic vom 15.06.2023 (1099 mal gelesen)
Cattle Decapitation - Terrasite CATTLE DECAPITATION. Die kalifornische Progressive Death-/Grindcore-Lärmkapelle gibt es mittlerweile auch schon seit 28 Jahren (ich entschuldige mich bei niemandem, der sich jetzt alt fühlt), doch so richtig - will sagen: abseits von der richtig derben Grind-Klientel - wahrgenommen wird die Band um Sänger Travis Ryan, der als einziger bei allen zehn bisher veröffentlichten Alben dabei war, wohl erst seit "The Harvest Floor" von 2009 oder vielleicht eher seit "Monolith Of Inhumanity" von 2012. Mit beiden schaffte man es auch erstmals in verschiedene Charts. Seitdem aber ist man in aller Munde, und das nicht nur wegen der großen Klasse ihrer Musik auf eben "Monolith Of Inhumanity" - meines Erachtens CATTLE DECAPITATIONs Opus Magnum - und dem Nachfolger "The Anthropocene Extinction", sondern auch wegen Travis Ryans innovativen Gesangs, der ab dem Werk von 2012 (okay, genau genommen schon im letzten Song des "The Harvest Floor"-Albums von 2009) stimmlich etwas, das ich am ehesten als "Rob Halford sings Death Metal" bezeichnete, einstreute. Und so erfreute man sich der neuen Bekanntheit und schmiss mit "The Anthropocene Extinction" einen durchaus würdigen Nachfolger hinterher. Doch wie es so oft in abgeschmackten Hollywood-Dramen kommt, so mag man sich auch im Hause der seit "Death Atlas" als Fünfergespann knüppelnden San Diegoer (San Dieganer? San Diegesen?) etwas am eigenen Ruhm berauscht haben, und so wirkte eben jenes "Death Atlas" auf mich und einige andere doch sehr abgeschmackt, uninspiriert, berechnend, blutleer und zu sehr dem eigenen Sound huldigend, wenn sie die vorher noch relativ punktuell eingesetzten "Special Vocals" nun beinahe durchgehend als vermeintlichen Trumpf aus dem Ärmel zogen. Dass der Sound, der für meinen Geschmack schon auf "The Anthropocene Exctinction" etwas zu glatt ausfiel, dort aber von großartigem Songwriting gerettet wurde, hier abermals geglättet wurde, sodass das Werk nahezu steril erklang, tat dem Album ebenfalls alles andere als gut. Und von den deathcorelastigen Bockwurst-Parts (will sagen: das Tempo wird geradezu herunterge"sludgt") will ich gar nicht erst anfangen. Freundlicherweise muss man aber sagen, dass die "Death Atlas" mit 'Bring Back The Plague' über einen überragenden Song (manche mögen paraphrasiert gar von amerikanischer Weltklasse sprechen) und eine das Niveau steigernde zweite Hälfte verfügte. Wobei man der Band, nicht ganz ernsthaft natürlich, 'Bring Back The Plague' am liebsten um die Ohren hauen möchte, wurde der Song schließlich im Mai und Juni 2019 aufgenommen und im November desselben Jahres herausgebracht. Und was passierte kurze Zeit später? Die tatsächliche Plague kam uns besuchen und legte die Welt - wenn man von so manchen Covidioten absieht - komplett lahm.

Nun also haben wir es mit CATTLE DECAPITATIONS zehntem Werk zu tun. Manch einer mag sich nach dem Vorgänger gefragt haben, ob die Männer vielleicht einfach alt seien und wir uns ab jetzt auf innovationslose Hausmannskost gefasst machen müssten, und dem entgegne ich ein entschiedenes und mich selbst so begeisterndes wie auch, wenn ich ehrlich bin, erleichterndes Nein. "Terrasite" begeistert auf Anhieb nicht nur mit einem äußerst cleveren Albumtitel, es kann eigentlich (und uneigentlich) über die gesamte Länge vorzüglich unterhalten.

Aber lasst mich kurz das Negative abarbeiten, denn das geht schnell, und so können wir uns direkt mit dem Positiven beschäftigen: Abermals finde ich, aber das ist natürlich sehr subjektiv, den Sound zu glatt. Zwar klingt er etwas weniger seicht als auf dem 2019er-Werk, aber so schön knusprig wie auf den Alben von vor zehn Jahren (und davor) klingen CATTLE DECAPITATION nicht mehr. Ja, damit wäre ich mit dem Negativen tatsächlich schon durch. Und das Positive? Im Gegensatz zum Werk von vor vier Jahren - man merkt, wie sehr ich verhindern möchte, die "Death Atlas" immer wieder beim Namen zu nennen - spielt man wieder mit mehr Elan, Brachialität, kurz: mit Oomph. Zwar klingt der Opener 'Terrasitic Adaption' in Teilen so arg nach 'Bring Back The Plague', dass man schon - verfrüht! - die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte ob der fehlenden Innovation, doch wenn man von gelegentlichen Selbstreferenzen absieht, haben wir es hier mit einem durch und durch neuen Werk zu tun, das zudem partiell wirklich innovative Ideen einfließen lässt, gleichzeitig aber auch durch bekannte, dieses Mal jedoch gewinnbringend eingesetzte Ingredienzen auftrumpfen kann. Beispielsweise klangen die "Rob Halford sings Death Metal"-Passagen vor vier Jahren einfach austauschbar und schlicht langweilig. Hier aber schafft man es mal wieder, in und mit diesen Parts zu begeistern; als Beispiele seien hier '...And The World Will Go On Without You' und 'Scourge Of The Offspring' genannt. In 'The Storm Upstairs' wiederum begeistert man mit rockigem Riffing im Mittelteil, einer leiernden, an Bands wie PLACEBO erinnernden Leadgitarre am Ende und dem für CATTLE DECAPITATION auch durchaus typischen, fast schon schwarzmetallischen Gekeife. 'The Insignificants' seinerseits baut einen überzeugenden "Chor" (also keinen tatsächlich klassischen) ein. Und neben anderen Dingen, die ich positiv hervorheben könnte, aber nicht werde, weil das Review sonst so langsam mal wieder zu sehr ausartet, präsentiert man uns auf "Terrasite", wie auch schon auf "Death Atlas", einen überlangen Song als Abschluss des Albums, hier in Form von 'Just Another Body', der mich zum einen an einen bekannten, vielleicht gar deutschen Rocksong aus den 80er-Jahren erinnert (den ich nicht benennen kann), und der zum anderen mit beinahe schon Gothic Metal-artigem Keyboard punkten kann. Und auch der Rest des Albums kann zu unterschiedlichen (Härte-)Graden beglücken.

Abschließend sei erwähnt, dass das Album Gabe Serbian, der für CATTLE DECAPITATION im Jahr 1996 die Drums und zwischen 1996 und 2000 die Gitarre spielte, gewidmet ist, denn selbiger verstarb im April letzten Jahres, genauer sogar nur einen Tag vor seinem Geburtstag, im Alter von 44 Jahren.

Da das Review aber nicht so traurig enden soll, sei noch abschließender gesagt, dass CATTLE DECAPITATION mit diesem Album Leute wie mich, die nach "Death Atlas" in schon fast alarmistischem Ton befürchteten, mit der Band gehe es jetzt den Bach hinunter, Lügen strafen. Der Vorgänger war somit also kein Wegweiser, sondern höchstens eine temporäre Bremsschwelle, die halt nichts auf einer Autobahn zu suchen hat.

- ohne Wertung -
Trackliste Album-Info
01. Terrasitic Adaptation
02. We Eat Our Young
03. Scourge Of The Offspring
04. The Insignificants
05. The Storm Upstairs
06. ...And The World Will Go On Without You
07. A Photic Doom
08. Dead End Residents
09. Solastalgia
10. Just Another Body
Band Website: www.cattledecapitation.com
Medium: CD, LP
Spieldauer: 52:34 Minuten
VÖ: 12.05.2023

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