Various Artists - Black Metal: Into The Abyss

Review von Zephir vom 25.04.2020 (7598 mal gelesen)
Various Artists - Black Metal: Into The Abyss Wer Dayal Pattersons bisherige Werke zur Historie des Black Metal kennt, der wird auf den neuen Band gespannt gewartet haben. "Black Metal. Into The Abyss" erschien im englischsprachigen Original bereits 2016, herausgegeben von Pattersons eigenem Publishing-Haus Cult Never Dies. Nun hat der zu Prophecy gehörige Index Verlag die deutsche Erstausgabe veröffentlicht.

Neues aus der Buchreihe "Black Metal"


"Into The Abyss" bildet in gewisser Weise den dritten Teil von Pattersons Reihe zum Black Metal, die mit "Evolution Of The Cult" (2013, deutsche Ausgabe 2017) und "Cult Never Dies Vol. 1" (2015, deutsche Ausgabe ebenfalls 2017) bereits zahlreiche Szenekenner und Interessierte eingesogen und aufgeschlaut hat. Der Londoner, der unter anderem auch für den britischen Metal Hammer schreibt, hat sich zum Ziel gesetzt, in jedem seiner Bände unterschiedliche Dimensionen des Genres auszuleuchten und dabei nicht einfach Bücher über Black Metal zu verfassen, sondern die Protagonisten der Szene selbst zu Wort kommen zu lassen. Bereits 2009 begann seine Arbeit, die sich mit intensiver Recherche und unzähligen Interviews weitaus umfangreicher entwickelte, als er es jemals geplant hatte (so verriet er es 2017 in einem Interview). Um den vorliegenden Band in Pattersons bisheriger Arbeit richtig zu positionieren, sei im Folgenden noch einmal kurz geschildert, womit sich der Autor bisher befasste.

Der erste Band "Evolution Of The Cult" widmet sich den tief in der Metal-Erde verzweigten Wurzeln, die durch Bands wie BLACK SABBATH oder JUDAS PRIEST genährt wurden und anschließend über VENOM, BATHORY oder CELTIC FROST hinauswuchsen. Die "Erste Welle des Black Thrash" sowie die "Zweite Welle" norwegischer Prägung in den 1990ern kommen ebenso zur Sprache wie die teilweisen Uneindeutigkeiten und Interpretationsspielräume vieler mittlerweile eingeprägter Zuschreibungen. Auch auf die Kommerzialisierung der Musik durch Bands wie DIMMU BORGIR geht der erste Band ein, auf die breite polnische Szene und auf Untergrund-Erscheinungen innerhalb des "Untergrunds", wie den NSBM. Eine Skizze aktueller Entwicklungen (Stichwort "Post Black") rundet das nahezu enzyklopädische Werk ab.

Dieser locker chronologischen Historie folgt "Cult Never Dies Vol. 1" mit den drei speziellen Fokusthemen Norwegen (und hier von SATYRICON über KAMPFAR bis WARDRUNA), Polen (XANTOTOL, ARKONA, MGLA und andere) und DSBM. In diesen Band eingegliedert findet sich auch "Prelude To The Cult", das auch als 64-seitiges Mini-Book erschienen ist. Dieser Reihe, in der jeder Band durchaus für sich allein als geschlossenes Werk stehen kann, gibt es noch eine Menge hinzuzufügen - nicht zuletzt sei angemerkt, dass "Evolution Of The Cult" vor Erscheinen vom Publisher Feral House um einiges gekürzt wurde. Derlei Eingriffe hatte Patterson mit der Gründung seines eigenen Verlags, der die folgenden Publikationen herausbrachte, nicht mehr zu befürchten.

Es geht weiter mit Norwegen, Polen und DSBM


Warum heißt der vorliegende Band nicht "Cult Never Dies Vol. 2"? Ganz einfach: Weil es nicht Volume 2 ist. "Into The Abyss" behandelt nämlich auf 300 Seiten nochmals die drei oben genannten Bereiche anhand einer Auslese von Bands, die zu Zeiten der vergangenen Jahrhundertwende und bis in die Zehner Jahre hinein das traditionelle Verständnis von Black Metal weiterspannen. Mit manchen Themen wird man einfach nie umfassend fertig. Volume 2 wird, so versichert Patterson gleich eingangs in seinem Vorwort, in jedem Falle auch noch kommen und voraussichtlich Griechenland, Finnland und die USA behandeln.

Inzwischen soll "Into The Abyss" als eine Art Auflockerung dienen - und natürlich weiteren Input streuen, den Patterson inzwischen journalistisch erarbeitet hat. Der von Andreas Schiffmann ins Deutsche übersetzte Band ist ebenso wie das englische Original aufgemacht wie ein klassisches Fanzine. Wie gehabt ist jedes Kapitel reich bebildert und eingangs mit dem beeindruckenden Informationsschatz des Autors gespickt. Anstelle einer durchgehenden Textform finden wir hier nun 21 Interviews im Wortlaut wiedergegeben; die wörtliche Niederschrift der Gespräche lässt eine Art gesteuertes Selbstporträt jedes Bandvertreters entstehen. Wer sich mit den oftmals schwierigen bis verschlossenen Charakteren der Szene ein wenig auskennt, der mag vage erahnen, dass es einfachere Jobs gibt, als so umfassende und tief schürfende Interviews überhaupt erst anzubahnen.

Ebenso wie sich das Werk auch außerhalb der Buchreihe rezipieren lässt, kann jeder Interessierte auch einzelne Kapitel für sich lesen. Es liegt in der Natur des weiten Feldes Black Metal, dass sich das Phänomen als ein Gesamtes niemals fassen lässt, und insofern spiegelt sich auch in der Struktur von "Into The Abyss" die Frage, was eigentlich Black Metal ist, was er zu sein hat oder wie er von den Künstlern verstanden werden möchte.

"Into The Abyss": Der Kult lebt weiter



Die ersten sechs Kapitel können als eine lose Themengruppe angesehen werden, die sich dem norwegischen Schwarzmetall widmen. Auftakt hierzu bilden HELHEIM mit einer Skizze der Entwicklung, die diese außergewöhnliche Formation zwischen 1992 und 2015 durchlief. Um eine "zweite Welle im Rahmen der zweiten Welle" (S. 27) geht es mit URGEHAL, TSJUDER und 1349, die nach der Jahrhundertwende den "truen" norwegischen Black Metal im Sinne einer satanischen Philosophie hochhielten. Natürlich geht es zentral um die Arbeiten der Bands und um die Entwicklung ihrer Musik, aber keineswegs gleichen die Gespräche mit den Künstlern einer Aufforderung zur Selbstrezension. Stellvertretend für URGEHAL spricht Enzifer über plötzlich zum Trend werdende Bewegungen aus dem Untergrund der 1990er, über den Tod des Bandmitglieds Trondr Nefas und über den Wahrheitsgehalt der Aussage, "selbsternannte Menschenfeinde seien die umgänglichsten Leute überhaupt" (S. 39). Die konservative Motivation wird stellenweise überdeutlich: So lässt sich Nag von TSJUDER voller Ehrlichkeit über die Osloer Black-Metal-"Seifenoper" (S. 47) Ende der 1990er Jahre aus, die sich vor allem in der Rock-Kneipe Elm Street abspielte.

Mit VEMOD geht es weiter zu einem vermutlich nur in Kennerkreisen bekannteren Phänomen, dem "Nidrosian Black Metal". Beheimatet ist diese enge Gruppierung in der norwegischen Stadt Trondheim, die im Mittelalter unter dem Namen Nidaros gegründet wurde. Recht abgeschieden von den beiden anderen Hauptstädten des norwegischen Black Metal formierte sich die Strömung erst nach der Jahrhundertwende; VEMOD gründeten sich offiziell 2003. Es ist bemerkenswert, dass Jan Even Åsli im Interview mit Patterson seine oftmals Ambient-beeinflusste Musik explizit nicht als Black Metal bezeichnen möchte. Mit Åsli im Gespräch geht es auch weiter zu der garantiert nur wenigen Eingeweihten geläufigen Formation ONE TAIL, ONE HEAD, deren Gitarrist und Komponist er ist. Das Kontrastprogramm dieser kompromisslos brutalen Kapelle dürfte umso interessanter sein, als auch ONE TAIL, ONE HEAD dem "Nidrosian Black Metal" zugeordnet werden.

Mit KOLDBRANN bleibt das Buch weiter in Norwegen, widmet sich aber nun wieder einer recht eigenwilligen Band mit Außenseiterstatus. Und erst an sehr viel späterer Stelle positioniert Patterson das Interview mit Vielleicht-noch-Mitglied Olav Berland von FORGOTTEN WOODS - zwar auch Norweger, aber als Vorreiter des Post Black und Depressive Black Metal gekennzeichnet.

Und bevor es in die schwärzesten Tiefen des DSBM hinabgeht, widmet sich der Autor den brasilianischen MYSTIFIER und ihrem satanisch-antichristlichen Schwarzmetall, das sich in diesem ganz anderen Teil der Welt ausbildete. Hier geht es auch kurz um das Thema Rassismus der Szene, zu dem sich die Vertreter der südamerikanischen Band, deren Urbesetzung aus ausschließlich afrikanischstämmigen Mitgliedern bestand, auch mal ein wenig derber äußern.

BESATT, SACRILEGIUM, BLACK ALTAR, MORD'A'STIGMATA und BLAZE OF PERDITION kommen als polnische Stellvertreter zu Wort. Vor allem im Interview mit Nantur, Frontmann von SACRILEGIUM, wird die Zersplitterung der polnischen Szene ab Mitte der 1990er Jahre deutlich. Hier leistet das Buch einen wesentlichen Beitrag für das Verständnis von ausdrücklich unpolitischem Black Metal in Polen, ein Bereich, der traurigerweise oftmals hinter dem medial sehr viel größer behandelten NSBM zurückfällt. Auch die starke Bindung der polnischen Band an satanischen Okkultismus und die Mythologie des eigenen Landes kommt zur Sprache, wodurch man sich von den norwegischen Vertretern deutlich abheben wollte: So bescheinigt Nantur seinen Landsleuten "eine andere Mentalität", die "die rituelle und philosophische Seite sehr ernst" nehme (S. 147), was er wiederum einer breiten norwegisch geprägten Szene abspricht.

Zwischenzeitlich beschäftigt sich das Werk mit einer oberschlesischen BM-Gruppierung namens "Let The World Burn", zu denen die besetzungsidentischen Bands FURIA und MASSEMORD gehören. Wer sich für polnischen Black Metal interessiert, dem sei dieses Kapitel besonders anempfohlen, da es die Introspektive des wenig bekannten Untergrund-Kollektivs zeigt, welches sich als explizit un-okkultistisch versteht und das antichristliche Motiv vieler Kollegen, die sich gleichzeitig auf einen im Christlichen verankerten Gegenspieler beziehen, kritisiert.

Besonderes Augenmerk gilt auch dem Kapitel zur estnischen Band LOITS. Frontmann Lembetu berichtet unter anderem von der estnischen Landesgeschichte und wie sich seine Musik innerhalb dieses Rahmens entwickeln konnte. Diesem Kapitel kommt abermals eine Art Sonderstatus innerhalb des Buches zu.

Über die oben bereits genannten FORGOTTEN WOODS führt Patterson anschließend in Richtung DSBM, einer innerhalb der Szene mehr oder weniger gern als solche zusammengefasste Sparte, für die stellvertretend er DEINONYCHUS, HYPOTHERMIA, NOCTURNAL DEPRESSION, TRIST und PSYCHONAUT 4 ausgewählt hat. Die doomige Außenseiterrolle der Niederländer DEINONYCHUS, deren Musik laut Patterson Mitte der 90er selbst die eingefleischtesten Schwarzmetaller "überforderte" (S. 230), wird ebenso behandelt wie die "zweite Generation" des DSBM. Es zeigt sich, dass innerhalb der vermeintlich Zugehörigen dieser Szene teils große Differenzen schwelen: So etwa konstatiert Trist, Macher des bereits aufgelösten gleichnamigen Projekts, eine Abscheu gegenüber dem DSBM-Trend, dem er keinesfalls zugerechnet werden wolle. Bei PSYCHONAUT 4 ist wiederum die georgische Herkunft der Musiker explizit interessant, und wer den Zusammenhang der ganzen Thematik mit Kohlgemüse verstehen möchte, sollte auch diesen Abschnitt intensiver Lektüre unterziehen.

Ein weiterer Meilenstein der Black-Metal-Introspektive


Es ist die große Stärke des Autors, durch seine sehr persönlich gehaltenen Interviews Interna der Szene zutage zu fördern, die ansonsten hinter medienwirksam transformierter Darstellung verschleiert oder oftmals auch stereotypisiert erscheinen. Die Frage nach satanistischer Gesinnung ist innerhalb der Szene kaum noch ein Augenbrauenheben wert, Patterson geht aber vielfach darüber hinaus und stellt die Gretchenfrage nach tatsächlich praktizierter Religion, ebenso er von den Musikern oftmals nahezu eindringlich ein Statement zu Rassismus und Politik einfordert. Auch Gespräche über die Medienwirksamkeit von Inszenierungen psychischer Indisposition muss sich der eine oder andere - die Interviewpartner sind allesamt Männer - gefallen lassen, und der Leser mag hier mit manch überraschendem Bekenntnis konfrontiert werden.

Trotz der oftmals todesernsten Thematik geht es in vielen der Gespräche offensichtlich sympathisch und locker zu. Sowohl die Künstler plaudern vielfach aus dem Nähkästchen, so etwa Ravn, Vokalist von 1349, der in seinem Gespräch mit Patterson auch scheinbare Profanitäten preisgibt. Dazu gehören Alltagsbelange wie Terminkollisionen mit den Proben anderer Bands bei Mitgliederüberschneidung oder die (Un-)Möglichkeit, mit Black Metal in Norwegen nur ein annähernd zum Leben ausreichendes Einkommen zu erzielen.

Auch der Autor selbst erzählt hier und da recht persönlich von seiner Arbeit als Musikjournalist, so etwa, dass er Mannevond, Sänger von KOLDBRANN, "zufällig bei einem Besuch in Oslo über den Weg lief" (S. 104), dass er mit MYSTIFIERs Gitarrist und Bassist Armando "Beelzeebubth" da Silva Conceição erst einmal gehörig becherte und so die erste Gelegenheit zu einem niederschriftstauglichen Gespräch verstreichen ließ, oder dass Olav Berland von FORGOTTEN WOODS letztendlich nur via Skype erreichbar war. Der Leser fühlt sich dadurch und vor allem auch durch die gleichzeitig informative und angenehm zu lesende wörtliche Wiedergabe der Interviews sehr nah dran am Geschehen, und letztendlich ist es das, was sich sowohl eingefleischte Fans als auch interessierte Kulturwissenschaftler wünschen.

Erfreulich für die Leserschaft der deutschen Ausgabe sind übrigens auch einzelne Info-Updates, die der Originalausgabe von 2016 hinzugefügt wurden: So etwa haben DEINONYCHUS inzwischen ein letztes Album herausgebracht, welches zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung von Pattersons Original noch nicht auf dem Markt war.

Negativ anmerken muss ich, dass der recht kleine Schriftschnitt Menschen mit weniger starker Sehfähigkeit Probleme bereiten könnte. Hier hätten zwei Punkt größer und eine erhöhte Seitenzahl durchaus Sinn gemacht. Dass Bandnamen nicht typographisch ausgezeichnet werden, hat mich persönlich bereits in den anderen Bänden ein wenig gestört. Auch offenbaren sich gerade gegen Ende des Buches vermehrt Satzfehler, die allerdings jeder überzeugte Metalhead großzügig nachsehen wird.

Letzten Endes ist das hochwertig als Hardcover gebundene Buch genau das, was es sein soll: Ein weiterer Meilenstein im Rahmen des anspruchsvollen Projekts, umfassend und vorbehaltsfrei Licht in das schwarze Phänomen Black Metal zu bringen.

Gesamtwertung: 8.0 Punkte
blood blood blood blood blood blood blood blood dry dry
Trackliste Album-Info
Band Website:
Medium: Buch
Spieldauer:
VÖ: 24.04.2020

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten