Interview mit Chris Dinsmore von Mudface

Ein Interview von Damage Case vom 20.08.2019 (8985 mal gelesen)
Am 28.Juni 2019 veröffentlichten MUDFACE ihre neue EP "Awaken To A Different Sun". In unserer Redaktion stieß sie auf Wohlwollen und so lag es nahe, dass uns die Band in Form von Sänger und Bandchef Chris Dinsmore bereitwillig Rede und Antwort stand. Lest im Folgenden, warum Vampire "Thrash as Thrash can be" sind, welche Ziele MUDFACE verfolgen und welche anderen jungen Bands der Bay Area man unbedingt einmal anchecken sollte.

Hi, vielen Dank für die Gelegenheit ein Interview mit euch führen zu dürfen. MUDFACE sind in Deutschland noch nicht sehr bekannt. Bitte stelle deine Band unseren Lesern kurz vor und was ihr neben der Musik beruflich so treibt.

Chris Dinsmore: Die Band wurde 2005 von Ted Aguilar (DEATH ANGEL) und mir gegründet. Das aktuelle Line-up bilden Chris Dinsmore (Gesang), Brett Crane (Gesang, Keyboard), Aaron McCoy (Gitarre), Jim Pegram (Bass) und Tim Davis (Schlagzeugs). Die meisten Bandmitglieder arbeien in der Tech-Industrie. Brett arbeitet im Öffentlichen Dienst und ich bin derzeit Uber-Fahrer.

Aus eurer Ecke stammt eine Vielzahl legendärer Bands, wie zum Beispiel EXODUS, HEATHEN, TESTAMENT, DEATH ANGEL, POSSESSED und METALLICA. Ist es für Euch eine Bürde oder Türöffner, eine Thrash Metal-Band aus der Bay Area zu sein?

Chris Dinsmore: Ich sehe es nur insofern als Bürde, dass die Leute die Musik der 80er und 90er lieben. Wir neigen zu Nostalgie und daran festzuhalten, womit wir als Kids aufgewachsen sind. Ich habe einen großen Respekt vor den Bands der Bay Area und darüber hinaus, weil sie den Grundstein für uns gelegt haben. Aber anstatt zu versuchen, sie so sehr zu imitieren, dass wir wie sie klingen, empfinde ich es als besten Weg, unsere eigenen Spuren zu hinterlassen und Freude an dem zu haben, was wir tun - so wie sie es taten. Ich persönlich würde uns gar nicht als Thrash-Band bezeichnen, weil wir auch eine Menge Einflüsse aus Industrial, Groove und Classic Metal in unserer Musik verarbeiten. Doch sobald Musik veröffentlicht wurde, vergleichen die Menschen sie mit dem was sie bereits kennen.

Mit eurem Debüt "Anti-" wart ihr für mich 2011 nur eine weitere neue Band von vielen, die damals nach TESTAMENT und DEATH ANGEL klangen. Wie wichtig ist euch eine eigene musikalische Indentität oder versteht ihr es als größeres Lob, wenn man eure Musik als "fast so gut wie TESTAMENT" beschreibt.

Chris Dinsmore: Wie bereits gesagt, hängt es davon ab, wie jeder einzelne Musik wahrnimmt. Und es ist so schwer heutzutage, einen eigenen, originellen Sound zu finden. Es gibt so viele Bands und Genres, sodass es mittlerweile fast unmöglich ist, sie zu kategorisieren. Ich kann dir als Songwriter versichern, dass wir nicht versuchen, wie diese oder jene Band zu klingen, und ich würde ganz sicher auch nie wie eine zweitklassige Version von irgendjemandem klingen wollen (lacht). Während des Songwritings denken wir nicht zu viel darüber nach, sondern lassen die Ideen aus uns herausfließen, wie sie kommen. Während dieses Prozesses höre ich überhaupt keinen Metal, um nicht in irgendeiner Weise beeinflusst zu werden - was schwer ist. TESTAMENT sind eine fantastische Band. Die Bay Area ist mit so vielen großartigen Talenten gesegnet!

In meinem Review zu "Awaken To A Different Sun" stelle ich fest, dass eure musikalische Nähe zu den Vorbildern seit eurem Debüt immer geringer wird. Wie siehst du das? Besonders gefällt mir der immer mal wieder verwendete Doppelgesang. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen und habt es geschafft, dabei nicht wie eine ALICE IN CHAINS-Kopie zu klingen?

Chris Dinsmore: Brett und ich spielen seit 1998 zusammen in verschiedenen Bands. Er war bereits vor MUDFACE Sänger in einer Band und ich wusste immer, was für eine tolle Stimme er hat, und wollte ihr daher eine größere Präsenz in unserer Musik zukommen lassen. Ich glaube, dass wir uns durch die Art, wie wir den Gesang und zusätzliche Keyboards in unserer Musik einsetzen, vom Rest der Bay Area-Bands unterscheiden. Obwohl ich die Vergleiche mit deren Sound durchaus verstehen kann. Aber wir haben so viele Einflüsse von außerhalb des Bay Area Thrash Sounds, und gerade weil so viele andere Bands das auf ähnliche Weise tun, haben wir uns bewusst dazu entschieden, ein paar andere musikalische Wege zu gehen, ohne dabei die Heavyness unseres Sounds zu vernachlässigen.

War es beabsichtigt, dass einige andere Chöre wie englischer Punk der frühen 1980er klingt?

Chris Dinsmore: Wir lieben den Punk und die Energie, die er transportiert. Aber ich würde auch hier sagen, dass es nicht unsere Absicht war, diese Einflüsse offensichtlich zu zeigen, als wir die Songs für die EP schrieben. Erst als die Songs fertig waren, fiel uns auf, dass wir dieses speziellen Punk-Feeling getroffen hatten.

Leider liegt mir kein Textblatt vor. Kannst du etwas zu euren Texten und deren Bedeutung für euch sagen? Habt ihr eine Message?

Chris Dinsmore: Diese EP sollte ursprünglich einem geschlossenen Konzept, basierend auf dem Song 'Awaken To A Differnt Sun', folgen. Der Song handelt von einem Astronauten, der sich im Weltall zu einem Vampir verwandelt und daraufhin sein unendliches Leben lang verzweifelt versucht, in der Zeit zurückzureisen und seine Verwandlung ungeschehen zu machen. Die traurige Ironie ist wie bei einem Hund, der versucht seinen Schwanz zu fangen, dass er auf einer endlosen Jagd nach etwas sein wird, das niemals geschehen wird. Während des Songwritingprozesses ereigneten sich jedoch einige persönliche Vorfälle, was den kompletten inhaltlichen Kurs der EP veränderte. Hier in der Bay Area zu überleben ist hart, die Lebenshaltungskosten sind sehr hoch. Viele Menschen haben zwei oder gar drei Jobs. Ich glaube, wenn "Awaken To A Different Sun" eine Message hat, dann die, dass man den Kopf oben behalten und niemals aufhören soll zu kämpfen. Es ist okay, mal die Schnauze von der Welt voll zu haben und das auch auszusprechen, denn mit diesem Gefühl ist niemand alleine. Wir wollen ausdrücken, dass es eine Herausforderung ist, jeden Tag zu überleben.

Was bedeutet der Titel "Awaken To A Different Sun"? Im gleichnamigen Song singt ihr über "Lügen" und "Schicksal". Welche Lügen und welches Schicksal sind gemeint? Singt ihr im Refrain tatsächlich "in hell there's no gravity"?

Chris Dinsmore: Wie bereits gesagt, handelt der Song von einem Astronauten, der sich im Weltraum zu einem Vampir verwandelt. Er ist verflucht, ewig leben zu müssen und dabei völlig alleine zu sein. Seine einzige Hoffnung wieder ein Mensch werden zu können, ist, zu versuchen in Raum und Zeit zurückzukehren und die Dinge, die ihm zugestoßen sind, wieder ungeschehen zu machen. Der Refrain lautet "this curse is my destiny, I travel on, in hell theres no gravity, awaken to a different sun". Im Grunde bedeutet das, dass alle Tage bis in alle Ewigkeit für ihn gleich sein werden - das ist es, was ihn erwartet. Nichts wird sich jemals ändern!

Der punkige Opener 'End Of The Rope' mit seinem mehrstimmigen Refrain ist mein Lieblingssong. Er erinnert mich an die ersten beiden Alben von SKINLAB. Welcher Song der EP liegt dir besonders am Herzen?

Chris Dinsmore: Danke dir. Meine liebsten Songs sind 'Snakes' und 'Rabbit Hole'. 'Snakes' erzählt davon, weshalb ich mächtigen Menschen misstraue. All deren Hintergedanken und falschen Versprechen. 'Rabbi Hole' ist eher ein persönlicher Song, der von Depressionen und den damit verbundenen Niederschläge handelt. Auch vom Sound her sind es meine beiden liebsten Songs auf "Awaken To A Different Sun".

Wieso nach drei Jahren "nur" eine EP anstatt eines neuen Albums?

Chris Dinsmore: Bevor wir bei Art Gates Records unterschrieben, war unser Gedanke, alle zwölf oder achtzehn Monate jeweils eine EP mit vier oder fünf Songs zu veröffentlichen, weil heutzutage die Aufmerksamkeitsspanne der Musikhörer immer kürzer wird. Die Technologien verändern sich gegenwärtig so schnell und die Menschen müssen keinen Aufwand mehr betreiben, um das zu finden, wonach sie suchen. Das ist einerseits fantastisch, andererseits summieren sich zu viele gute nützliche Tools zu einem großen schlechten. Dasselbe gilt für Social Media. Selbst größere Bands veröffentlichen wieder jährlich, anstatt wie früher alle drei bis fünf Jahre. Mit Ausnahme von TOOL ... (lacht). Deshalb ist unser Gedankengang, dass, wenn wir vier oder fünf wirklich starke Songs auf eine EP packen, die Fans das Interesse an MUDFACE auch nicht verlieren.

Ich schrieb in meinem Review, dass ein kommendes komplettes Album dieser Güte eine höhere Bewertung von mir erhalten würde. Wann darf ich dieses Versprechen einlösen? Schreibt ihr bereits an einem vollständigen Album und kannst du bereits ein paar Details verraten?

Chris Dinsmore: Wir haben noch nicht wirklich mit neuem Material begonnen, weil wir derzeit den Fokus darauf legen, dieser EP den Push zu geben, den sie verdient. Allerdings habe ich ungefähr 27 Songs in der Hinterhand, die nur noch mit den Jungs ausgearbeitet werden müssen. Ich weiß, dass unser neuer Gitarrist Aaron noch etwas ängstlich ist, dem Bandsound seinen Stempel aufzudrücken, da er erst während der EP-Aufnahmen zu uns stieß. Ich weiß aber auch, dass er eine Menge an Ideen hat. Daher denke ich, dass wir im Herbst neues Material zusammenstellen und hoffentlich bis Ende 2020 wieder aufnehmen werden. Ob es sich dabei um eine EP oder ein Album handeln wird, werden wir dann festlegen. Was ich bereits mit Sicherheit weiß, ist, dass wir weiterhin unsere nicht-metallischen Einfüsse einfließen lassen werden. Aber glaub mir, es wird trotzdem heavy bleiben!

Was war für dich das Beste/Größte, das du mit MUDFACE bisher erreicht hast?

Chris Dinsmore: Auf dem Mayhem Festival und dem Rocklahoma Festival zu spielen, zwei der bedeutendsten Festivals in den USA. Außerdem in einigen der renommiertesten Clubs der Welt aufgetreten zu sein. Und unser letztes Album mit Bob Marlette (unter anderem ROB ZOMBIE, SEETHER) und Singer/Songwriter Sahaj Ticotin (RA, MEYTAL) aufzunehmen. Aber es gibt für uns noch so vieles zu erreichen.

Existiert in eurer Gegend noch eine Thrash Metal-Szene mit jungen hungrigen Bands, oder lebt die Bay Area nur vom Mythos der 1980er Jahre?

Chris Dinsmore: Zuallererst haben wir hier die Qual der Wahl zwischen all den legenderen Thrash Bands, die immer noch auf sehr hohem Level aktiv sind und großartige Alben aufnehmen. Daneben erlebe ich hier eine Wiederauferstehung von Thrash, Heavy und Doom Metal sowie straighter Rock Musik. Das Problem ist jedoch, dass die Fans aus den 80ern älter werden, was bedeutet, dass sich durch Kinder und Jobs deren Lebensverhältnisse bezüglich der Anzahl ihrer Konzertbesuche verändert haben. Es gibt hier bei uns zu viele Bands und nicht genügend Clubs, um ihnen ausreichend Auftrittsmöglichkeiten zu bieten. Hinzu kommt, dass es nicht ausreichend viele "All Ages"-Clubs und Radiostationen in der Bay Area gibt, um Jugendliche mit Metal in Kontakt zu bringen. Die sozialen Medien spielen eine weitere Rolle darin, es Menschen bequem zu machen und eine Mentalität zu entwickeln, Konzerte lieber auf YouTube anstatt live zu sehen. Das ist hier in den USA möglicherweise eine noch größere Herausforderung als in Europa, Südamerika oder dem Rest der Welt, weil moderne Technologien und Medien ihre Wirkung hier schneller entfalten. Das wiederum führt dazu, dass amerikanische Bands so gerne in Europa spielen, weil ihr Heavy Metal wirklich als Lifestyle liebt und er keine Modeerscheinung ist.

Welche anderen (Thrash Metal) Bands aus der Bay Area, die man in Europa wahrscheinlich noch nicht kennt, kannst du uns empfehlen?

Chris Dinsmore: Gerne. Steve Zetro von EXODUS hat mit seinen beiden Söhnen eine Band namens HATRIOT am Start [Anm. des Verfassers: Zetro ist mittlerweile raus aus der Band, HATRIOT sind dennoch bockstark!], ebenso CULTURAL WARFARE, THE VENTING MACHINE, SHORT FUSE, RAGE FOR WAR und NEGATIVE. Außerdem kommen mir noch SIXX in den Sinn, und ich kratze gerade einmal an der Oberfläche. Es sind zu viele Bands!

Was möchtet ihr als Band noch erreichen? Hat man euch bereits einmal in Europa live erleben können bzw. ist das für euch ein Ziel?

Chris Dinsmore: Absolut. Unser Ziel war es immer, zu versuchen unsere Musik so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen und den Fans weltweit die Gelegenheit zu bieten MUDFACE live zu sehen. Es ist allerdings schwer, eine Band zusammenzuhalten und macht es deshalb beinahe unmöglich, gleichzeitig miteinander zu touren, wenn das Line-up regelmäßig wechselt. Als Visionär legst du dir einen Plan zurecht, was du erreichen möchtest und arbeitest dabei mit Menschen zusammen, die vorgeben diese Ziele zu teilen. Aber in Wirklichkeit haben sie nicht den Willen, diese Ziele erreichen zu wollen. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass Menschen Angst davor haben ihre Komfortzone zu verlassen, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben und dabei ihre eigene kleine Welt hinter sich zu lassen. Das frustriert mich, weil man einfach angelogen wird. So oft war ich von "Wochenend-Metallern" umgeben, die es vorziehen in Clubs in der Umgebung zu spielen, anstatt zu versuchen die Welt zu erobern. Ich kann als Bandleader die Mitglieder nur pushen mit mir in dieselbe Richtung zu gehen oder sie auswechseln, bis man die richtige Bandchemie gefunden hat - oder ich trete selbst einer etablierten Band bei, die meine Vision teilt. Es macht mich traurig zu sehen, wie viele talentierte Musiker unter die Räder eines geregelten Alltagslebens geraten, was das Touren als Band so schwer macht. Aber um deine ursprüngliche Frage zu beantworten: Ja, wir würden sehr gerne in Europa spielen. Freunde von mir, die in erfolgreicheren Bands spielen, sagen mir immer, dass MUDFACE unbedingt in Europa touren sollten. Und wir werden es eines Tages tun!

Die letzten Worte gehören dir, möchtest du unseren Lesern noch etwas mitteilen?

Chris Dinsmore: Danke dir für das tolle Review, das Interview, dein Engagement und deine Zeit. Hoffentlich sehen wir uns alle bald auf unseren Konzerten!

Vielen Dank für deine Zeit und noch viel Erfolg mit der Promotion für "Awaken To A Different Sun"!

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