Illegale Downloads und Absatzzahlen - Ursachen und Relativierung

Ein Artikel von Opa Steve vom 27.09.2009 (9216 mal gelesen)
Vor einigen Tagen veröffentlichten wir einen von vielen Labels, Vertrieben und auch manchen Bands unterzeichneten Offenen Brief an die Metal-Gemeinde, in der das Kopierverhalten der Fans angeprangert wurde. Mit diesem ebenfalls offenen Brief hier möchte ich eine Antwort darauf geben, denn auch ich bin Fan, Käufer, als Mitarbeiter dieses Zines auch Promo-Besitzer, gelegentlich sogar Kopierer (selbstverständlich im legalen Rahmen). Und damit fühle ich mich angesprochen.

Die Musikwelt springt immer wieder im Dreieck. Die Interessenkonflikte zwischen Künstler, Wertschöpfungsindustrie, und Fans sind leider trotz langer kulturgeschichtlicher Evolution immer noch nicht aufgebrochen. Beginnen wir mal beim Kunstschaffendem, dem Musiker/Autor. In der ursprünglichsten Form ging es ihm darum, seine Kreativität auszuleben. Natürlich auch, die Resultate öffentlich zu machen - sei es aus Anerkennung, aber auch zum Lebensunterhalt. Letzteres darf man nicht vergessen, denn ab einer gewissen Erwartungshaltung ist Kunst-Schaffen nun mal teuer (Equipment), und manchmal ist Kunst auch das Einzige, was der Künstler zum Bestreiten des Lebensunterhalt hat. Schließlich waren schon die barocken Dieter Bohlens (Bach, Mozart) keine begnadeten Idealisten, sondern Berufskomponisten mit harten monetären Zielen. Es gab aber damals einen großen Unterschied zu heute: es bestand ein direkter Kontrakt zwischen Künstler und Konsument. Finanzielle Interessen waren immer vorhanden, wurden aber unmittelbar ausgehandelt.

Ich überspringe jetzt mal absichtlich die Industrie und komme zuerst zum Fan: Fans gibt es, seit es Künstler gibt. Echte Fans unterstützen den Künstler moralisch, und wenn es möglich ist (hoffentlich) auch finanziell. Das Fantum kann aber völlig unterschiedlich ausgeprägt sein. Auf der einen Seite gibt es die geköderten Teenies, die sich bereitwillig das Geld mit völlig unkünstlerischen Dingen wie Postern oder Handy-Tönen aus der Tasche ziehen lassen. Auf der anderen Seite steht der Pragmatiker, der lieber darauf wartet, dass Musik zu ihm kommt - durch Airplay und gezielte iPod-Downloads, aber er würde nie ein proppevolles CD-Regal als wichtigstes Möbelstück seines Lebens benennen. Der Metal-Fan steht irgendwo dazwischen, tendiert in seinem Merchandise-Verhalten sicherlich Richtung Teenie, aber schon mit einer bewussten Lebenseinstellung und einem echten Support für die Künstler. Aber wie alle Liebhaber und Sammler plagt ihn ein Problem: er hätte gern mehr, als er sich leisten kann.

Jetzt kommen wir zu einer Schlüsselrolle - vielleicht der Schlüsselrolle schlechthin, wenn es um die aktuellen Probleme geht: die Industrie. Ursprünglich mal mit einem guten Gedanken entwickelt, denn wie sollte ein Künstler seine Kunst weitläufig zugänglich machen, Touren organisieren, Studios und Presswerke bezahlen? Aber damit haben wir auch schon die Macht der Industrie: sie war es lange Zeit, die entschieden hat, was zugänglich gemacht wird, und zu welchem Preis. Und diese Industrie hat eine Eigenart, die kaum noch jemandem auffällt: sie gibt sich mit ihren unzähligen Firmen als Polypol, agiert aber wie ein Monopol. Musik ist kein Gebrauchsgegenstand, an den ich irgendwelche objektiven Maßstäbe wie Preis und Qualität festmachen kann. Man will nur das kaufen, was man persönlich gut findet. Und wer macht sich schon Gedanken, warum im Elektro-Großmarkt eine skandinavische Underground-Produktion genausoviel kostet wie eine RAMMSTEIN-Scheibe? Kauf es, oder lass es.

Die Musikindustrie ist ein Dienstleistungsgewerbe für Künstler und Fans, was sich verselbständigt hat. Sie ist nicht selbst kunstschaffend, sondern abhängig von Absatzzahlen der vertraglichen Künstler. Demnach hat die Industrie ein hohes Interesse an möglichst hohen Absatzzahlen - manchmal sogar höher als das Interesse der Künstler selbst, gerade wenn diese Musik aus Leidenschaft und nicht zum Broterwerb machen. Und manchmal gewinnt man den Eindruck, dass dieser Angebotsmarkt der Musikindustrie völlig aus den Fugen gerät. Allein im Metal-Segment sieht man sich pro Monat ca. 70-100 Neuerscheinungen (Eigenproduktionen nicht mitgerechnet) gegenüberstehen. Stellenweise von völliger Gesichtslosigkeit bis hin zu ärgerlichem Dilettantismus gesegnet, so dass man sich fragen muss, ob die jeweiligen AOR-Leute völlig auf den Ohren sitzen, oder gerade ein kleines Erbe durchbringen wollen. Da dem Fan aber pro Monat nur ein limitiertes Budget zur Verfügung steht, bleibt eine Menge stehen, denn bei all dieser Veröffentlichungsflut ist ja auch kaum ein Label in der Lage, all seine Künstler geduldig und nachhaltig aufzubauen und dem potenziellen Käufer näherzubringen.

Darüber hinaus hat die gesamte Industrie die Entwicklung und die Chancen des Internets völlig ignoriert. Viel zu lange, und wer weiß, wo wir heute stehen würden, wenn nicht MySpace diesen Erfolg gehabt hätte? Viel zu lange beharrte die Musikindustrie auf dem Standpunkt, neue Technologien als "böse" zu bezeichnen und zu bekämpfen. Warum? Weil Fans, die mit dem Web groß wurden, die Sache selbst in die Hand genommen haben. Klein fing es an, irgendwo in IRC-Chatrooms und Newsgroups. Wie man Freunden früher eine LP auf Cassette kopierte, verschickte man seinen virtuellen Freunden nach Absprache auch mal das neue Album XYZ. Dabei hat man sich nichts gedacht. Die Privatkopie war legal, und der "engste Freundeskreis" eine Definitionssache im jeweiligen Zeitgeist. Dabei ging es doch ursprünglich nur darum, sich den lästigen Weg zum Kopfhörer-Tresen des Plattenladens zu sparen, und andere Gesinnungsgenossen von der Genialität mancher Scheibe zu überzeugen. Hätte damals die Industrie die Flucht nach vorn angetreten, hätte man diese Entwicklung selbst kanalisieren können. Online-Player, Schnupper-Downloads von Edit-Versionen.... der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Aber nein, stattdessen wurde verteufelt, verfolgt, und gebunktert. Zwischenzeitlich entdeckten aber die Pragmatiker, die ohnehin kein Geld für Musik ausgeben würden, die Kapazitäten, und bauten das Internet zur allumfassenden Schwarzkopie-Zentrale um. Damit hatte man dann endgültig die Kontrolle verloren....

Mangels Differenzierung finden sich heute Fans auf der Anklagebank wieder, auf der eigentlich ursprünglich organisierte Raubkopierer Platz nehmen sollten. Pauschalverurteilungen wie beim genannten Offenen Brief sind da sicherlich nicht hilfreich. Nehmen wir einmal an, von heute auf morgen wären alle illegalen Tauschbörsen geschlossen - würden dann mehr CDs verkauft werden? Wohl kaum, denn wenn man die illegalen Downloads zusammenrechnet, wie es die Musikindustrie tut, wird man sehr schnell feststellen, dass der immer vorgerechnete Schaden vermutlich das Gesamtvermögen der in Frage kommenden Konsumenten weit überschreitet. Außerdem möchte ich an dieser Stelle den Verband der Phono-Industrie (IFPI) zitieren, nach dessen brandaktuellem Marktbericht 2005 zu Hochzeiten der Tauschbörsen der Branchenumsatz inkl. digitaler Lizenzen sogar nochmal gesteigert werden konnte, und die IFPI-Austria spricht sogar 2006 von "einem der besten Jahre". Jammern auf hohem Niveau?

Sicherlich ist es nicht richtig, dass Alben heute offen im Web auftauchen - es ist schon eine Art gedankenloser Volkssport einer Generation geworden, die es nicht anders kennengelernt hat. Vor allem befinden wir uns heute nicht mehr in der Notsituation, denn der geneigte Fan hat heute in der Regel endlich eine Möglichkeit, sich mit zeitgemäßen Mitteln neue interessante Bands anzuhören, bevor er sie kauft. Der Weg dorthin war allerdings steinig (und durch die GEMA-Daumenschrauben auch für manche Bands gar nicht finanzierbar), und von allerlei Maßnahmen begleitet, mit denen sich die Industrie zuerst alle Konsumenten vergrätzt hatte: furchtbare DRM-Geißeln, Missachtung des CDDA-Standard durch manipulierte Audio-CDs bis hin zu krassen Rootkit-Techniken, die beim Einlegen einer CD Zwangssoftware auf dem Privat-PC verstecken. Dass unter diesen Bedingungen selbst bereitwillige Käufer abwinken ist völlig logisch, und es wird noch eine Weile dauern, bis dieser Image-Schaden aufgearbeitet ist. Heute ist man endlich wieder soweit, dass man seine Musik weitestgehend wieder selbst problemlos irgendwoanders hin mitnehmen kann, und auch mal mit Freunden teilen kann, wie es der Gesetzgeber schon seit 60 Jahren vorgesehen hat. Deswegen appellieren wir selbstverständlich an die Fans, die in Gesetz und Kaufvertrag festgelegten Bedingungen zu achten. Deswegen haben wir auch den offenen Brief hier veröffentlicht, weil wir den Grundtenor mittragen. Wenn euch die Bedingungen des Anbieters nicht passen, lasst das Angebot einfach liegen und besorgt es nicht illegal. Damit erreicht ihr auf Dauer mehr.

Aber ich möchte dieses Special nicht abschließen, ohne auch meinerseits einen Appell an die Industrie loszuwerden. Wenn ihr wirklich wollt, dass euch die Musik aus der Hand gerissen wird, dann entdeckt die Leidenschaft wieder. Hört auf, mit Trend-Nachläufern oder halbgaren Bands den Markt zu überschwemmen. Das Leben ist zu kurz für Mittelmaß, und wenn Mittelmaß den Markt regiert, dann darf man sich nicht darüber wundern, wenn es von den Konsumenten auch als Solches behandelt wird: möglichst billig, weil man es doch wieder wegwirft. Geht auf die Suche nach den verborgenen Acts, bei denen Innovation und Identität groß geschrieben werden. Es gibt sie. Sorgt für CDs mit Charakter, mit denen man sich gern mal wieder wie früher staunend im Zimmer einschließen möchte. Und vor allem: führt endlich eine differenzierte Preisgestaltung ein, die auch kontrolliert werden kann. Pauschale 17 Euro sind eine Frechheit und zerstören auch noch so geniale Newcomer, die ohnehin gerade mal paarhundert Scheiben im ersten Anlauf absetzen könnten.

Wenn ihr das nicht in den Griff bekommt, dann werden euch immer mehr Fans einfach überspringen, und sich auf die Bands konzentrieren, die wieder alles in guter alter Punk-Manier in Eigenregie machen. Die Möglichkeiten hierzu sind ja längst gegeben.

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