Possessed Steel - Aedris

Review von Tailgunner vom 20.01.2021 (4545 mal gelesen)
Possessed Steel - Aedris Spät im Jahr, wenn für gewöhnlich sämtliche persönlichen Jahresbestenlisten mehr oder weniger feststehen, geschehen zuweilen noch verrückte Dinge. Dass sich zunächst im November die Schweizer MEGATON SWORD auf der letzten Rille noch in meine persönlichen und genreübergreifenden Top 10 einnisten, kam für mich zwar etwas unerwartet, nach deren starker Debüt-EP "Niralet" allerdings auch nicht gänzlich überraschend. Dass sie es aber aus dem Stand in meine Top 3 schaffen, dann aber irgendwie doch, nachdem 2020 nicht eben arm an wirklich grandiosen Epic Metal-Scheiben gewesen ist. Die "Konkurrenz" war mit hervorragenden Alben von unter anderem IRONSWORD, CIRITH UNGOL und DARK FOREST wirklich stark. Dass dasselbe Husarenstück - Einfall in meine Top 3 aus dem Nichts - nur Tage später einer weiteren Band gelingen sollte, welche sich ebenfalls dem Epic Metal verschrieben hat und leider bis dahin völlig unter meinem Radar lief, das ist dann schon wieder so eine wirklich bemerkenswerte Fügung. Die Rede ist hier von den Kanadiern POSSESSED STEEL, welche uns ihre ganz eigene Interpretation von Epic Metal servieren. POSSESSED STEEL sind seit 2010 aktiv und haben bereits zwei EPs herausgebracht. Nun erfolgte der nächste Streich in Form eines Albums. Eines durchaus ambitionierten Albums, wie ich anmerken muss. Ähnlich wie bei MEGATON SWORD gibt man sich nicht allein mit der Musik und ein paar ordinären Sword-and-Sorcery-Lyrics zufrieden. Man ersinnt gleich eine komplette Handlung, in der die Musik eingebettet ist. Wir begleiten den für das Album namensgebenden Helden Aedris auf seiner Quest. Und hier muss man dann einfach mal den Begriff "Gesamtkunstwerk" in den Raum stellen. Wer sich schlicht nur mit den Audiosignalen zufriedengibt, der verpasst hier einiges. Es fängt mit dem stilvollen, handgefertigten Coverartwork an, welches Aedris hoch zu Ross in düsterer Atmosphäre darstellt und schon perfekt auf die Reise einstimmt. imgleftNatürlich kommt das auf der Vinyl-Version am stärksten zur Geltung, Gleiches gilt für das doppelseitige Inlay. Hier wird in einem Prolog die Prophezeiung um Aedris offenbart, auf den Innenseiten gibt es neben den Lyrics eine Karte, Holzstiche und storytechnische Erläuterungen zu den einzelnen Stücken. Auf der Rückseite präsentieren sich die vier Bandmitglieder wiederum in stimmigen Holzstichen im Porträt. Man erkennt, das Gesamtpaket ist eine Reise raus aus dem virenverseuchten und mitunter tristen Alltag. Eskapismus galore, wenn man sich denn darauf einlassen möchte.

Das ganze Drumherum ist natürlich schön und gut, aber am Ende ist das Wesentliche natürlich der musikalische Inhalt. POSSESSED STEEL gelingt mit "Aedris" etwas, was mir persönlich sehr wichtig ist und was sehr viele Bands so leider nicht hinbekommen: POSSESSED STEEL haben ganz offensichtlich ihren ureigenen Sound gefunden, der sie wiederum von vielen Genre-Kollegen abhebt. Nicht in dem Sinne, dass man hier das Rad neu erfunden hat, aber "Aedris" strahlt zu jeder Sekunde eine eigene Persönlichkeit aus. Es ist niemals beliebig und bedient sich keinerlei Klischees. Auch nimmt es sich in der Wahl der Stilmittel seine Freiheiten, wie wir im Folgenden feststellen werden. Die musikalische Umsetzung ist grundsätzlich sehr puristisch. Auf überbordende Effekte wird verzichtet und auch die Produktion ist trocken und reduziert und alles andere als überladen. Aber das ist genau der Sound, den diese Musik benötigt und es ist beeindruckend, welch dichte Atmosphäre die Musiker hier kreieren. Mit 'The Dreamer' begeben wir uns auf die Reise. Sanfte Pianoklänge sind zu vernehmen und ein Eulenruf versetzt uns in nokturne Stimmung. Es ist schlicht unverschämt, wie scheinbar locker aus dem Ärmel geschüttelt das anschließende 'Spellblade' über den Hörer hereinbricht. Dieser unglaublich entspannt-erhabene Marsch kombiniert mit genialen Gesangslinien macht sofort klar, womit wir es hier zu tun haben. In etwa in die gleiche Kategorie fällt das folgende 'Keeper Of The Woods', hier erleben wir allerdings auch erstmals einen Ausbruch aus dem Epic Metal-Baukasten, indem wir Talon Sullivan zum Ende des Stücks auch ausgesprochen fies krächzen hören. Danach können wir mit dem ruhigen Interludium 'Forest Of The Dead' kurz Luft holen, denn mit 'Frost Lich' gehen POSSESSED STEEL zum Angriff über. Man hört sofort, dass sie es ab hier absolut ernst meinen. Die Riffs tonnenschwer, der Gesang frostig. Spielte sich das Geschehen bislang im moderaten Midtempo ab, geben POSSESSED STEEL bei 'Assault On The Twilight Keep' dem schwarzen Einhorn ordentlich die Sporen, nur damit es beim akustischen 'Free At Last' wieder etwas zu Atem kommen kann. Den benötigt es auch, denn ab jetzt ziehen POSSESSED STEEL sämtliche Register. Das Double 'Bogs Of Agathon' und 'Skeleton King' gehören mit zum Besten, was ich in den letzten Jahren gehört habe. Eine gewisse Band, die weiland unsterbliche Epic Metal Jahrhundertwerke komponiert hat und danach eher dem Biker-Metal verfallen ist, würde vermutlich ihre Seele verpfänden, könnte sie solche Stücke noch schreiben.imgright Der dräuende Auftakt von 'Bogs Of Agathon' ist bereits die pure Dramatik, gefolgt von Gesangslinien, die nicht von dieser Welt scheinen. Dieses Stück ist exemplarisch dafür, welche unglaubliche Atmosphäre die vier Musiker mit ihren eigentlich überschaubaren Mitteln kreiert haben. Wahnsinns Leads, Tempowechsel, immer kontrolliert und völlig lässig. Lässig im Sinne eines überlegenen Kriegers, der es gar nicht erst nötig hat, den Gegner mit wüstem Drohgebaren einzuschüchtern. Auf demselben Über-Niveau erklingt der 'Skeleton King', welcher die Handlung abschließt. 'Nobunaga' ist als eine Art Bonustrack gekennzeichnet, denn das Stück hat mit der Geschichte um Aedris nichts zu tun. Vielmehr entnehme ich dem Inlay, dass Nobunaga ein Feldherr im feudalen Japan gewesen ist, der wesentlich zur Einigung des Landes beigetragen hat. Musikalisch fällt der Song etwas ab, was nach den beiden letzten Über-Stücken aber vermutlich unvermeidlich ist.

Mit den letzten Klängen von "Aedris" endet die Reise und man muss wieder über so profane Dinge wie Einkaufen und Steuererklärung nachdenken. Aber glücklicherweise steht mir die Tür zur Welt von "Aedris" über mein Plattenspieler-Portal ja jederzeit offen. Da das Album bereits im vergangenen November veröffentlicht wurde, hatte ich natürlich die Gelegenheit zum exzessiven Hören, welches mich in meiner Überzeugung bekräftigt hat, dass wir es hier mit einem echten Ausnahmealbum zu tun haben, an dem kein Epic Metal-Fan vorbeikommt, so wahr Oda Nobunaga gelebt hat.





Gesamtwertung: 9.5 Punkte
blood blood blood blood blood blood blood blood blood dry
Trackliste Album-Info
01. The Dreamer
02. Spellblade
03. Keeper Of The Woods
04. Forest Of The Dead
05. Frost Lich
06. Assault On The Twilight Keep
07. Free At Last
08. Bogs Of Agathon
09. Skeleton King
10. Nobunaga
Band Website: www.facebook.com/possessedsteelofficial
Medium: CD, LP
Spieldauer: 46:02 Minuten
VÖ: 23.11.2020

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten