Andy Brings - Full Circle - Last Exit Rock'n'Roll

Review von Opa Steve vom 01.05.2019 (5072 mal gelesen)
Andy Brings - Full Circle - Last Exit Rock'n'Roll Just another Rockumentary? Ich konnte mir unter "Full Circle - Last Exit Rock'n'Roll" lange wenig vorstellen. Klar ist mir Andy Brings ein Begriff und ich hatte schon Kontakt mit so ziemlich allen Bands, in denen er mal spielte. Und ich hatte aufgrund seines Werdeganges eine vage Vermutung, dass sich dieser Film möglicherweise irgendwie von "ANVIL! The Story Of Anvil" inspirieren ließ. Schließlich haben Andy Brings und die kanadische Band zum einen diese Kondition gemeinsam, dass sie immer an ihre Musik glauben und sie mit Leidenschaft zelebrieren. Zum anderen teilen Andy Brings und ANVIL das Schicksal, dass ihnen trotz allen Herzbluts bislang der Sprung in die komfortablere Oberliga verwehrt blieb und sie nach Jahrzehnten immer noch investieren. Nie werde ich vergessen, wie sich in Koblenz mal die Suppkultur nach den Chaoten von MANOS schlagartig leerte und Andy & THE TRACEELORDS als Headliner vor zwanzig Leuten spielen mussten.

Doch schon in den ersten Minuten wird klar, dass die Motivation hier eine andere ist. Der Analytiker spricht aus dem Off über den Antrieb eines besessenen Musikers, von seinem Lebenselixier. Mit der Geschichte des MUSIKERS Andy Brings hat dieser Film nur am Rande zu tun. Sondern der erste Kern dieses Streifens ist sein unglaubliches Verletztsein über den Rauswurf bei SODOM Mitte der Neunziger. Dieses Thema wird den ganzen Film noch als roter Faden begleiten und man merkt, wie stark Ich-bezogen Andy zurückblickt. Da sitzt man leicht erschrocken vor dem TV und wundert sich, wie wenig abgeklärt ein Mittvierziger auch nach 25 Jahren noch von einem regelrechten Trauma spricht. Weil er als junger Erwachsener nach kaum einer Handvoll coolen Jahren bei SODOM und gerade mal zwei nennenswerten Langspielern wieder gehen musste. Ich muss sagen, dass mich diese Verletztheit, die sich durch alle nicht-chronologischen Mono- und Dialoge des Films durchzieht, sprachlos gemacht hat. Unter anderem trifft er sich auch mit Tom Angelripper, mitten im winterlichen Forst. Da sitzen die beiden auf einem Feld im Nirgendwo, Andy schüttet sein Herz aus und macht sich im Seelenstriptease links, während einem Tom aufgrund des Klagens schon fast leid tun kann. Man merkt ihm sein Unbehagen streckenweise deutlich an, wenn er schon gar nicht mehr weiß, was er darauf antworten soll. Da wundert es nicht, dass auch hier ab und zu der Pott-Charme in seinen knurrigen Antworten rauskommt und er zwischendurch einfach meint: "Wenn ich sach 'Ende' dann is Ende. [...] Wenn ich eine Entscheidung treffe, ziehe ich die auch durch.".

Der Rauswurf bei SODOM legte den Grundstein für eine nahezu besessene Motivation, im Biz erfolgreich zu werden. Ob diese gesund ist, vermag vielleicht der Psychologe zu beurteilen, der am Anfang und am Ende zu Wort kommt. Auf mich persönlich wirkt nicht die ungebremste Energie an sich befremdlich, sondern der Anstoß, der augenscheinlich dahintersteht. Es geht nicht nur um die Selbstverwirklichung, es geht auch ums Zurückschlagen ("... euch werde ich's zeigen ...") und ein irritierendes Sendungsbewusstsein auf seinem unbürgerlichen Werdegang. Denn einen bürgerlichen Beruf kann man laut Andy nicht ergreifen, wenn man schon mit SODOM eine der "härtesten Platten" der damaligen Zeit aufgenommen hat. Später fallen Sätze wie "Geld ist kein Ersatz für Wahrheit" oder "Mein Leben wird super, euer Leben wird doof". Andy macht auch keinen Hehl daraus, dass er in seinem angestrebten Musikerdasein so wie Tom sein wollte. Für ihn kam nur noch Bandleader in Frage, damit ihn niemand mehr rauswerfen kann. Und er wollte zum Frontmann werden. Und dann fällt auch der Satz: "Dann bin ich Tom.". Schlagartig kommen dem Betrachter Vergleiche zu Dave Mustain in den Sinn, der ebenfalls den frühen Rauswurf aus einer aufstrebenden Band über Jahre nicht verkraftet hat und dessen Leben und MEGADETH-Karriere streckenweise ebenfalls wie ein Kräftemessen gegen seinen ehemaligen Brötchengeber anmutete.

Dieser Ehrgeiz wird über die Gespräche mit mehr oder weniger prominenten Wegbegleitern, vom Freund und Unternehmer Andreas Puschel bis zur Metal-Queen Doro Pesch, immer wieder deutlich. Über die gesamte Spieldauer drehen sich die Gespräche immer wieder um Themen wie dem "Ruf", "Wille", "wie eine Maschine", "Ziel", "Wahrheit", "Flow", "never give up" - was in dieser Intensität regelrechte Glaubenszüge annimmt. Und weil das nicht reicht, werden die wichtigen Stichworte in fetten Lettern über das Bild gelegt und springen dem Zuschauer hämmernd ins Auge. Wenn Puschel dazu eloquent redet wähnt man sich anfangs in einem Seminar für Motivationstraining, während im Hintergrund sanft-esoterische Ambient-Sounds flirren. Auf die Dauer fängt es aber an, eher an Gehirnwäsche zu erinnern. Es ist Andy offenbar wichtig, dass kein Wortfetzen, der ihm wichtig scheint, dem Zuschauer verborgen bleibt - als hätte er Sorge, man könne etwas nicht verstehen. So spielt der Film über weite Strecken stets mit der höchsten Wahrnehmungsintensität, was vor allem bei den wunderbar abgeklärten und differenzierenden Statements der ewig entspannten Doro fast schon widersprüchlich scheint. Dem aufmerksamen Zuschauer entgeht nicht, dass Doro auch von Schattenseiten dieses Daseins berichtet. Aber niemals schreien diese Lettern "du hast keine Familie" oder "ich hätte gerne Hunde, aber es geht nicht" oder "man ist viel allein" oder "du kannst nicht zur Hochzeit oder Beerdigung, weil du auf Tour bist". Sondern Dinge wie "weitermachen", "Wille", "immer nach vorne". Bäämmm, bäämmm, bäämmm!

Neben dem SODOM-Rauswurf gibt es noch einen zweiten roten Faden. Ich habe mich während des halben Films gefragt, was nun der Grund ist, ausgerechnet jetzt diesen Film zu machen. DOUBLE CRUSH SYNDROME haben weder eine große Headliner-Tournee noch paar goldene CDs hinter sich. Aber in der zweiten Hälfte wird klar, warum der Film nun gemacht wurde. Und warum sich der Kreis nun schließt. Und dass Andy immer noch Fanboy ist. Er sucht stets die Nähe zu seinen Idolen, das Interview mit Michael Berger wird zum Beispiel am Rande eines KISS-Konzerts backstage gemacht und man sieht das Leuchten in Andys Augen, wenn er sich in dieser heiligen Umgebung aufhält und sogar Requisiten und Instrumente anfassen darf. Er spricht zwar über sich und seinen Willen, aber es geht auch um eine Sehnsucht, die sich für Musiker nur mit sehr viel Glück befriedigen lässt. Der Kreis schließt sich tatsächlich, als DOUBLE CRUSH SYNDROME das Angebot bekommen, mit SKID ROW auf Tour zu gehen. SKID ROW sind jetzt nicht KISS, aber immerhin. Später gibt er auch unbekümmert zu, dass er nicht zwingend in der Top-Liga spielen muss. Auf der Erfolgsskala müsse auch jemand die Mitte vertreten, und er findet das OK - eine gesunde Einstellung, für die sein Ehrgeiz allerdings heißläuft. Mit SKID ROW spricht er später darüber, dass es ohne diese Band auch diesen Film nie gegeben hätte. In der Tat geht so etwas in Erfüllung, wofür er gekämpft hat, seit er SODOM verlassen musste. Und er spricht mit Tom über den Frieden, den er erstmalig jetzt spürt.

Nein, "Full Circle - Last Exit Rock'n'Roll" ist keine Rockumentary. Man kann den Film auch nicht in eine Reihe mit "Some Kind Of Monster" stellen. Dazu ist er zu undistanziert und wird von Andy thematisch komplett vereinnahmt. Da auch sein musikalischer Werdegang hier kaum Raum bekommt (immerhin spielen POWERGOD und die TRACEELORDS hier absolut keine Rolle), vergebe ich keine Wertung. Vielmehr ist der Film ein subjektives Statement seines Protagonisten. Und eine manchmal faszinierende, manchmal aber auch irritierende Seelenschau. Wir sehen einen besessenen Künstler, der nichts so sehr will, wie so zu sein wie seine Idole. Wir sehen einen Menschen, der mehrfach wiederholend über die Antriebe spricht, und im nächsten Moment glückselig bei SKID ROW crowdsurft. Der sich als "Maschine" und "King of Underdogs" bezeichnet und "Youth Gone Wild" auf die Seite tätowiert, aber nach einem Vierteljahrhundert im Geschäft neben Tom, Doro oder SKID ROW immer noch wirkt wie ein engagierter Azubi bei seinem ersten Beurteilungsgespräch. Wir sehen ein Rock'n'Roll-Tier auf der Bühne, der privat seine Mutter verehrt und der nach einer privaten Jam-Session mit SKID ROW so überglücklich ist, dass er danach sprachlos und ergriffen auf einem Stuhl wie ein kleiner Junge zusammensackt.

Möglicherweise ist dieser Film therapeutisch in seiner Wirkung. Es bleibt für den Zuschauer der gespaltene Eindruck aus Faszination vor dieser unbändigen Ehrlichkeit, aber auch die Sorge, ob jemand in diesem Geschäft aus Höhen und Tiefen emotional bestehen kann, wenn man so sensibel reagiert und so verbissen nach Anerkennung strebt. Und es bleibt die Frage, wer der Mensch Andy Brings nun wirklich ist. Der junge Wilde oder der Sentimentale, den man nie in Partyszenen sieht, sondern immer nur mit Wasser bewaffnet und mehr als einmal demütig ergriffen. Da leben zwei Seelen in seiner Brust. Und es bleiben die Fremdschäm-Momente wie zum Beispiel der Moment, als er in der großen Halle allein mit einer Akustikgitarre und Marcus Sauk geschminkt einen KISS-Song darbietet. "Full Circle - Last Exit Rock'n'Roll" ist in diesem konzentrischen Blick auf Andys Perspektive auch ein Stück weit anstrengend.

Das Bonusmaterial hätte in Teilen - auch wie der Film - durchaus gekürzt werden können. Die Impressionen von der Premiere sind recht langatmig geschnitten und man erfährt immer wieder, dass die "Lichtburg" ihren 90. Geburtstag feiert. Die lose Clipsammlung zeigt, dass irgendwie nichts unter den Tisch fallen durfte. Und dass Andy tatsächlich zum Film nochmal einen Audiokommentar (!) spricht, in dem er nahezu das Gleiche nochmal erzählt, passt ins Bild, dass es ihm in seinen Statements nicht deutlich genug werden konnte.

Eine Kaufempfehlung für Musikinteressierte kann ich aus den obigen Gründen nicht pauschal aussprechen. Dies ist keine übliche Musikerdokumentation. Wenn man allerdings Fan von Andy Brings ist, ist diese Doku ein Muss. Ebenso ist der Film für diejenigen, die sich generell für intensive Psychogramme interessieren, spannend. Und genauso sollte man ihn sich anschauen, wenn man sich mit dem Gedanken trägt, erfolgreicher Rockmusiker zu werden. Das könnte im späteren Leben helfen, vorbereitet zu sein, wenn es wie in einer Achterbahn auf und ab geht.

- ohne Wertung -
Trackliste Album-Info
01. Hauptfilm (88 Minuten)

Bonus:
02. Featurette Weltpremiere (50 Minuten)
03. A Full Year In Random Stories (69 Minuten)
04. Mumpi's View On The Premiere (4 Minuten)
Band Website:
Medium: BluRay
Spieldauer: 03:10.00 Minuten
VÖ: 26.04.2019

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