Interview mit Markus, Raivo, Lauri von Metsatöll

Ein Interview von Lestat vom 24.05.2010 (6126 mal gelesen)
Vor einigen Wochen brachten METSATÖLL ihr neues Album "Äio" heraus. Im Interview redeten sie sowohl über das Album sowie den Entstehungsprozess, aber auch über ihre Auffassung von Folkmetal und traditionelle Musik.

Hi! Wie gehts euch?

Markus: Danke der Nachfrage. Gar nicht schlecht, um ehrlich zu sein. Unser neues Album ist auf Platz 1 der estischen Charts, und das den zweiten Monat hintereinander. Und in diesen zwei Monaten haben wir über 7000 Platten verkauft. Die Hälfte davon in Estland, die anderen im Rest der Welt. Für eine estische Metalband ist das gar nicht so schlecht.

Raivo: Und aus irgendeinem verrücktem Grund läuft es immer besser und besser. Ich bin erstaunt wie sonst noch was.

Ihr habt vor ein paar Wochen "Äio" herrausgebracht. Wie waren die Reaktionen darauf?

Markus: Wie üblich, was unsere Musik angeht, gibt es die ganze Bandbreite an Meinungen. Einige Rezensisten machen uns nach Herzenslust schlecht, andere sind positiv überrascht. Aber egal was von beidem: Ich bin sehr glücklich, dass unsere letzte Veröffentlichung, verglichen mit früheren, soviel Feedback bekommen hat.

Lauri: Das Feedback war so wie erwartet, es gibt aber auch viel, das man analysieren und worüber man nachdenken muss. Ich meine damit nicht, dass wir deshalb unsere Musik ändern sollten, aber es ist immer gut zu wissen, wie die Musik vor unterschiedlichen kulturellen Hintergründen verstanden wird. Jedes Feedback ist nützlich. Ansonsten wüssten wir nicht, wie weit das nichts ahnende Opfer von unserer musikalischen Intention weg ist.

Raivo: Einige der Rezensenten scheinen nicht damit einverstanden zu sein, dass wir keinen Folkmetal machen, der dem ungeschriebenen Code der meisten Bands dieses Genres entspricht. Andere finden genau das erfrischend ohne Ende. Die meisten Rezensionen waren aber dennoch durchaus positiv.

Wie lief der Songwritingprozess? Gab es irgendwelche größeren Probleme?

Markus: Letztes Frühjahr begann es, dass sich neue Lieder allmählich zusammenbrauten. Zuerst machten wir nach der ersten Phase einige Demos in unserem Proberaum. Danach, Anfang des Sommers, ging wir in ein abgelegenes Landhaus auf der anderen Seite Estlands, um ein angemessenes Demo von all dem Material zu machen. Und dann wurde es Zeit für einen gewaltigen Aufnahmemarathon, der sich über drei Studios erstreckte. Und es gab keine Probleme, einfach weil das Gefühl großartig und der Wille, das ganze ernsthaft zuende zu bringen, ganz klar in unserem professionellen Interesse war.

Lauri: Das fortwährende Problem ist, wie man das langsame Zustandekommen eines Songs beendet. Wie man weiß, dass ein Lied wirklich fertig ist, um auf eine offizielle CD gepresst zu werden. Alles in allem gibt es immer Bedarf sowohl für einfache als auch für komplexere Strukturen, und jeder will etwas dazu beitragen. Es ist immer einfacher, die leeren Stellen in einem Übungsheft auszufüllen als eine Geschichte und eingängige Übung selber zu schreiben.

Raivo: Das Hauptproblem war der konstante Zustrom von Ideen, die nicht einmal der Schlaf zu unterdrücken schaffte. Am Ende mussten wir die Saiten unserer Instrumente zerschneiden, um das Sperrfeuer der Riffs zu unterbrechen und sich auf das Schreiben der Texte zu konzentrieren.

Gibt es irgendetwas, von dem ihr denkt, dass es wichtig wäre, es über das Album zu wissen? Oder was ihr besonders betonen wollt?

Markus: Dieses Album ist definitiv kein typisches Folkmetalalbum, und bevor man sich eine gut durchdachte Meinung darüber bildet, sollte man es sich einige Male angehört haben, in Ruhe und bewusst.

Lauri: Bevor ihr das Album auflegt, findet bitte heraus, wo in Nordeuropa das Land, das sich Estland nennt, wirklich ist, welche Stämme dort vor Jahrtausenden siedelten, und was sie machten, bevor sie in dem landeten, was heute Europa genannt wird. Dann kontaktiert die nächste estische Niederlassung für ein Dutzend Liter heimgebrautes Bier aus Saaremaa - und nur dann solltest du die CD auflegen. Lasst außerdem das Bier im Humpen, bis auch das letzte Lied vorbei ist. Ansonsten könnte es passieren, dass ihr wegdämmert, bevor das Intro zuende ist.

Raivo: Stimmt, das Intro ist vielleicht ein wenig zu lang geraten. Ich bin selber schon zu oft weggedämmert bevor es zu Ende war. Das könnte aber auch damit zusammenhängen, dass mein Kopf nur eine Zweiminutentoleranz bei Alkoholauswirkungen hat.

Ihr habt mittlerweile einige Albem draußen. Wie seht ihr die Entwicklung der Band? Welche sind die größten Unterschiede zu früheren Veröffentlichungen?

Markus: Der Prozess war mehr intellektuell, was bedeutet, dass die Musik bunter und emotionaler wurde. Sicher, die Fähigkeiten an den Instrumenten und die Gesangsfertigkeiten zeigen auch Fortschritte.

Lauri: War es zunächst nur Heavy Metal mit Folkinstrumenten, so ist es jetzt mehr als Heavy Metal mit Folkinstrumenten.

Raivo: Wir sind erwachsener geworden, haben mehr Facetten bekommen. Ich finde die Musik sogar interessant genug, um sie selber zu hören, und finde manchmal immer noch neue Nuancen.

Ihr hattet 2006 eine Show mit einem estischen Chor - wird es sowas noch öfter geben oder war das ein einmaliges Event?

Markus: Wir haben mit diesem Projekt viele Auftritte gehabt, einmal sogar in Deutschland, in Reutlingen - es war nur schade, dass das anwesende Publikum nicht das war, was eigentlich beabsichtigt war. Dieser Chor ist auch auf "Äio" zu hören, und wir haben ihn auch bei Gigs zur Präsentation dieses Albums eingesetzt. Außerdem setzen wir das selbe Programm einmal mehr im Juni um, also kommt rüber nach Estland und genießt die Show.

Lauri: Ich würde für die Leser gern hervorheben, dass es sich nicht um irgendeinen Chor handelt, sondern um den Estischen Nationalen Akademischen Männerchor, einen der am besten vom Staat finanzierten Chöre der Welt, so weit ich weiß. Es gibt ein gutes Gefühl zu wissen, dass auch die Mitglieder eines solch professionellen Chors einfach gute Freunde sind, mit denen man abseits der Bühne abhängen kann. Wann immer es die Möglichkeit gibt, freuen wir uns darüber, unser Herz dem Konzertbesucher auszuschütten.

Raivo: Es war uns eine wirkliche Ehre mit solchen Profis zusammenzuarbeiten. Es hat uns geholfen, uns selbst zu entwickeln. Ich empfehle euch wärmstens, wenn es nochmal Konzerte mit dem Chor gibt, dass ihr kommt und sie euch anschaut, weil sie wirklich speziell sind - macht das, auch wenn es mit einem wichtigen Fußballspiel kollidiert! (So wie vor ein paar Jahren in Reutlingen.)

Ihr integriert sehr traditionelle Musikelemente der estischen Musik in METSATÖLL. Was bedeutet für euch die traditionelle Musik?

Markus: Das ist etwas, das aus unserem Innersten hervor kommt.

Lauri: Um es genau zu nehmen, gibt es keine bewusste Integration von unserer Seite, aber ja, vielleicht hat stattdessen die Musik uns integriert. Traditionelle Musik und die traditionelle Welt sind die Art und Weise, wie man leben sollte. Ich kenne keine Art zu leben als dass man das vererbte Wissen mit sich trägt. Gleichzeitig haben sich die Dinge so entwickelt, dass ich mittlerweile an zwei Musikschulen und an der Universität unterrichte, alles hat mit der Welt des Erbes und der Musik zu tun. Weiterhin leite ich die Gesellschaft für Altertümlichen Männlichen Gesang, deren oberste Aufgabe es ist, die alleinige männliche Kultur des Seins und des Singens zu unterrichten. Es wäre verrückt, wenn sich das nicht in der Musik von METSATÖLL widerspiegeln würde.

Raivo: Wir interpretieren nicht Folkmusik. Alle unsere Musik ist original. Aber es gibt verschiedene Einflüsse, die von unseren Wurzeln herrühren, die wir schon mit unserer Muttermilch aufgesogen haben.

Warum denkt ihr, dass Folkelemente und Metal gut zusammen passen? Ich denke, Metal ist mehr oder weniger der einzige Stil, der traditionelle Elemente integriert. Zumindest sind mir Beispiele aus anderen Musikrichtungen nicht bekannt.

Lauri: Ich denke, dass Metal vielleicht einer der wenigen Musikstile ist, der es nicht mit einer echten Herangehensweise an die Folkmusik versucht, und vielleicht vermischen sich die beiden Stile deshalb so gut. Aber, wenn Türken schwedische Folkklänge anspielen oder Russen ein paar irische Töne anspielen, ist jeder glücklich (außer vielleicht die wirklichen ehrwürdigen Vorfahren, die die Musik zuerst gemacht haben). Und das ist der Punkt, an dem der zweite Teil deiner Frage ins Spiel kommt, da es wirklich zwei Möglichkeiten gibt, mit der man die Musik als Sprache propagieren kann: entweder geplant oder spontan. Wenn du an die meiste nicht-westliche Musik - zum Beispiel asiatische oder afrikanische - denkst, ist das alles eine traditionelle Widerspiegelung von traditionellen Geräuschkulissen, ein Kurs durch die ursprüngliche Kultur. Nur ist deren Sound aus irgendeinem Grund nicht als traditionell angesehen, weil wir eine solche Interpretation nicht gewohnt sind, nach dem Motto: "Sie tun das sowieso, wer kümmert sich schon darum". Aber die Tradition der westlicheren Musik in Estland ist nicht älter als 80 - 300 Jahre, und die viel ältere Geräuschkulisse ist immer noch bei uns, wenn auch unbeabsichtigterweise, auch wenn wir es nicht traditionell nennen wollen. Nehmen wir zum Beispiel Hip-Hop: Wo sind die Wurzeln dieses Stils? Oder die des Jazz, Reggae oder Rock? Das sind alles nur Reflektionen eines vererbten musikalischen Hintergrundes, und der trägt immer noch die gleiche musikalische Aussage mit sich herum wie die Vorfahren des Künstlers hundert oder hundertfünfzig Jahre vorher. Aus irgendeinem Grund bevorzugen es die Menschen immer noch, in den engen Schranken zu leben, und dabei zu behaupten, dass Dvorak oder Strauss keine wirklichen Interpreten sind, weil sie Folkmusik benutzt haben und in einer Umgebung gelebt haben, die damit durchdrungen war. Die Weltmusik von verschiedenen Regionen führt ihr eigenes Leben im modernen Mainstream, und macht das so viel beständiger als die schlecht gelaunten Ausführungen von Interpreten der Folkmusik.

Die Festivalsaison kommt: Wird es eine Möglichkeit geben, euch auch in Deutschland zu sehen?

Markus: Wir sind auf der Wet Stage von Wacken am letzten Festivaltag. Wir hoffen darauf, dass uns irgendjemand bemerkt und wir nächstes Jahr wieder eingeladen werden um zu spielen. Und wie spielen keine halbherzigen Gigs. Es gibt nur 100% Blut und Schweiß!

Raivo: Ich denke, wir werden Deutschland in Zukunft noch öfter besuchen. Wir hoffen wirklich, dass eure Szene uns annimmt.

Vielen Dank für das Interview - die letzten Worte gehören euch!

Markus: Deutscher Thrash Metal ist der beste!

Lauri: Deutschland, halte die Ohren steif!

Raivo: : Wir sehen uns in Wacken!

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten