Schweden ist schuld!

Ein Artikel von Opa Steve vom 05.10.2007 (12460 mal gelesen)
Was stürzt sich die Öffentlichkeit eigentlich immer so auf regionale Trends? In den 80ern gab's Bay Area Thrash, später kam der Florida Death Metal auf, norwegischer Black Metal galt Anfang der 90er als das Maß aller Dinge. Alles ging für eine Weile gut. Die trendsetzenden Bands waren klasse, anschließend wurde aus dem Proberaum weggesignt, was nicht bei 3 auf den Bäumen war, und im Melderegister der auszuverkaufenden Region eingetragen war. Mit etwas Glück konnte man so Kopien erwischen, die die Qualität der Originale erreichten. In der nachfolgenden Schwemme allerdings wurde einem der Spass immer wieder gründlich versalzen, als Hinz und Kunz versuchten, genauso zu klingen, nur eben 3 Kategorien schlechter. Sowas braucht die Welt nicht - das hat die Industrie bisher nicht verstanden. Stattdessen ruft ein einst frischer Sound nur noch ein Gähnen hervor, und auch die Lust an den Originalen verschwindet rasch, wenn von jedem Zaunpfahl eine ähnliche Combo spielt.

Bisher haben wir jeden Hype überstanden. Der Trend lief sich tot, und es blieben nur noch die wirklichen Originale übrig - oder sie machten halt 'ne Reunion, wenn der Trend vorbei und der Markt bereinigt war. Doch dann entdeckte man Schweden, und irgendwie kommt man jetzt von diesem kleinen Land nicht mehr los .....

Anfang der 90er stand Schweden noch für den sogenannten Schweinerock. BACKYARD BABIES oder die HELLACOPTERS schufen den ersten Trend, der mit Metal eigentlich wenig zu tun hat. Und dennoch waren die Combos in aller Munde, und man gewann den falschen Eindruck, es würde aktuell nichts Besseres im Stromgitarrenbereich geben. Eigentlich hätte es zu denken geben müssen, dass bis zur Post-Schweinerock-Ära mit HARDCORE SUPERSTAR keine Band trotz aller Presse im Metal so richtig erfolgreich Fuß fassen konnte. Die Berichterstattung lag deutlich über der Nachfrage der langhaarigen Bombenleger. Also dachte man sich: irgendwas müssen wir doch noch in Schweden finden! Und so kam man auf den Trichter, dass die Schweden doch überall so schöne Melodien reinbauen. Selbst in den Death Metal, wie DISMEMBER schon seit Jahr und Tag bewiesen, ohne jemals gehypt worden zu sein. Aber anstatt DISMEMBER die verdiente Unterstützung als wahre Melodic-Deather zuteil werden zu lassen, fand man jemand viel Besseres, der sich auch bereitwillig kommerziell ausschlachten ließ: IN FLAMES. Diese fanden mit "The Jester Race" langsam zu ihrem Stil, dessen Höhepunkt ehrlich gesagt schon mit dem Smasher "Clayman" erreicht war. Mit Death Metal hat das Ding ungefähr so viel zu tun wie Schwarzenegger mit anspruchsvollen Filmen, aber was fällt der Presse als bester Begriff ein: "Melodic Death Metal". Alles noch klar im Stübchen? Und komischerweise wird dieser Begriff sogar heute noch verwendet, nachdem IN FLAMES schnurstracks nach "Clayman" eine völlig neumodische Richtung eingeschlagen haben. Und wie es immer so ist, stehen die Klone schnell in den Startlöchern. SOILWORK konnten fast Schritt halten, DARK TRANQUILLITY blieben im Windschatten, und heute wird uns schon die Xte Kopie in Form von z.B. SONIC SYNDICATE wohlfeilgeboten. Während sich jeder Trend nach ca. 5 Jahren totgelaufen hat, ist es mit Schweden offenbar anders, da dort jeder zweite Einwohner ein Instrument spielt, und jeder dritte offenbar sein Glück im Metal sucht. Das hört überhaupt nicht mehr auf. Die Liste nimmt kein Ende, und mittlerweile spielen schon ANTERIOR über den großen Teich DEN schwedischen Sound, oder auch die FRAGMENTS OF UNBECOMING hier in Deutschland. Das Schlimme dabei ist nicht einmal allein die Existenz dieses Schweden-"Melodic Death" (ha ha), sondern die Tatsache, dass genau dieser Sound einen der nervigsten aktuellen Trends überhaupt geschaffen hat, der sich einfach eiskalt dranhängt: die weltweite Metalcore-Welle. Vielleicht einer der Gründe, warum man für die Schweden immer noch lieber "Melodic Death Metal" sagt um nicht zugeben zu müssen, dass man die Geister, die man rief, nun nicht mehr los wird. Sind nun IN FLAMES eigentlich kein Metal mehr, oder dürfen wir Metalcore nun doch schon zum Metal zählen? Die Unterschiede sind recht schnell erklärt: die Keyboards wurden lediglich gegen trendige Kurzhaarfrisuren eingetauscht. Basta. Ansonsten ist der Sound bis zum Erbrechen gleichgeschaltet. Ursprünglich schöne Twin-Guitars a la MAIDEN werden durch hektische Stakkatos ein bisschen bissiger gemacht, mit Triolen-Pseudoblasts an den Drums unterlegt, und auf die nervöse Zappelchose kommt ein Brüllaffe, der - wenn er mal richtig singt - den Schmerz der Welt in sich trägt. Langweilig bis zum Abwinken, und voll verkrampfter Egomanie. Das ist keine Musik, das ist ein Schema. Baukastenmusik ohne Bauch, stattdessen mit enger Zielvorgabe und akustischem Korsett. Und durch die offizielle Trennung von "Swedish Melodic Death Metal" und "Metalcore" haben wir nicht einmal die Chance, dass die generelle Flut aufhört, wenn sich ein Begriff davon mal totläuft. Die Kurzhaar-Variante verkauft sich zwar aktuell besser als die Langhaar-Variante mit gelegentlicher Synthie-Unterstützung, der Inhalt ist aber nahezu identisch, und man wird mich in jedem Fall weiter mit zappelverrenkungsbrüllenden Kajalstiftträgern nerven.

Tja, ihr lieben Schweden, da habt ihr dolle was angerichtet. Jetzt müsst ihr auch mit den Folgen leben - und wir mit. Und ihr, liebe Leser, habt die freie Entscheidung, ob ihr der Metalcore-Schwemme und allen Schweden-Klonen eine Nachfrage gebt oder nicht. Für meinen Teil endet dieser stilistische Zeitstrahl bei "Clayman", und ich verbringe meine Zeit nicht mit zig Wiederholungen, denn da draußen warten viele andere, einzigartige Bands, die das musikalische Spektrum erweitern anstatt einzuengen. Aber wer weiß - sollte der Hype um Schweden und alle damit verbundenen Auswüchse irgendwann mal versiegen, wird vielleicht australischer Didgeridoo-Metal das nächste große Ding...

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