Interview mit Eugene von Jinjer

Ein Interview von Opa Steve vom 13.09.2016 (12388 mal gelesen)
Zur aktuellen Scheibe, die Bleeding4Metal vorlag, konnten wir mit den interessanten ukrainischen Newcomern noch vor der Tour ein Interview führen.

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Hi Eugene, wie geht es euch? Alles prima?

Eugene: Hallo Stefan, alles ist prima, wir bereiten uns gerade auf die "King Of Everything"-Tour diesen Herbst vor. Hoffe, bei dir ist auch alles OK?

Ja, danke der Nachfrage! Lass uns über euer letztes Album reden, welches für mich ein schwieriges Stück Musik ist, aber dennoch beeindruckend. Dafür hat es auch 7.5 von 10 Punkten auf Bleeding4Metal erhalten. Wie waren die sonstigen Reaktionen bis jetzt?

Eugene: Ja, 7.5 ist nicht schlecht, danke! Im Großen und Ganzen waren die Reaktionen ganz schön cool. Einige Mediengrößen wie der Metal Hammer haben das Album sehr gut bewertet, wir hatten die Aufmerksamkeit vom Revolver-Magazin, im RockHard-Soundcheck war "King Of Everything" auf Platz acht - sogar noch vor einigen Szenegrößen wie z.B. DEVILDRIVER. Auch in kleineren Medien hat das Album tolle Kritiken eingefahren. Natürlich gab es auch einige negative Reaktionen, aber ich habe sie mir angeschaut und es scheint so, als wären diese Rezensenten nicht dahintergestiegen, weil es einfach nicht deren Musik war. Wie wir mittlerweile wissen, haben die Fans das Album sehr gut aufgenommen, und das ist ja das, was zählt.

Ihr mixt hauptsächlich Metalcore mit Prog und Death, aber die Songs bleiben trotzdem einzigartig im Stil. Welche Art von Songwriting-Prozess wird bei euch gelebt ... und gibt es einen "Masterplan" innerhalb der Songs?

Eugene: Da ist definitiv ein Masterplan. Wir arbeiten an einem Song so lange, bis er sich komplett anfühlt. Und ich betone FÜHLT, denn da gibt es keine Logik, es ist einfach nur Emotion und Gefühl. Jeder Song muss einen Effekt haben. Und wir nutzen vielfältige Subgenres, um diesen Effekt zu erzeugen. Ich meine, wir können einen Part entweder sehr soft oder jazzig spielen, um dich zu beruhigen, und dann einen Blastbeat folgen lassen! Du weißt, was ich meine - das Spiel mit Kontrasten. Auch hat jeder Song einen Höhepunkt, und alles davor führt lediglich dorthin. Zum Prozess selbst, wir haben dieses mal für alle Songs eine Pre-Production gemacht. Als wir dann ins Studio gingen, wussten wir genau, was wir wollten, auch wenn natürlich einige Änderungen während der finalen Recordings gemacht wurden.

Ihr scheint sehr offen in eurer künstlerischen Bandbreite zu sein. Die meisten aggressiven Bands in den USA oder Westeuropa würden nicht mutig genug sein, schnelle und aggressive Musik mit einem swingenden Song wie 'Beggar's Dance' zusammenzubringen. Was denkt ihr dabei, wenn ihr so völlig unterschiedliche Stile ausprobiert?

Eugene: Ich verstehe die anderen Bands total. Selbst wir waren auf der Scheibe davor nicht mutig genug. Ich bin wirklich glücklich, dass wir es hinbekommen haben, diese Stereotypen nun doch zu überwinden. Weißt du, wir alle in JINJER haben unterschiedliche Einflüsse und natürlich sehen wir Musik auf unterschiedliche Arten. Die Vielfalt auf "King Of Everything" ist die Reflexion davon. JINJER ist eine von diesen Bands, für die es nie mehr einen Genrebegriff geben wird. Ja, natürlich katapultiert uns das aus der "True Metal Division" raus, aber wir möchten uns nicht limitieren. Wir möchten unterschiedliche emotionale Fäden aufgreifen, sozusagen musikalisch und atmosphärisch anders sein.

Gibt es eine besondere Geschichte hinter der Entstehung von 'Beggar's Dance'?

Eugene: Ja, es war Tatianas Initiative, mal einen komplett jazzigen Song auszuprobieren, und da habe ich mich just an ein paar nette Bossanova-Basslinien erinnert, die ich noch irgendwo hatte. Diese habe ich unserem Gitarristen Roman vorgespielt und er machte ein cooles Solo drüber. Wir haben gejammt, ich strukturierte den Song, wir entschieden uns für minimalistische Drums. Am Schluss des Songwriting-Prozess kam Tatiana auf die Idee, die gleichen Lyrics für den Opener und den Schlusstrack zu nutzen und wir kamen überein, dass 'Beggar's Dance' der letzte Song wird - einfach, damit du denkst: "Hä?!?". Das gibt dir Zeit zum Luftholen und Entspannen, und dann kannst du die ganze Scheibe nochmal hören.

Ich würde gern mehr über eure persönlichen musikalischen Einflüsse erfahren. Hört ihr alle auch modernen Metal, oder welche Eindrücke werden verarbeitet?

Eugene: Wir hören eine Menge Musik - angefangen vom Old School Metal wie SLAYER bis hin zu Hip-Hop und Rap. Tatiana ist ein großer Fan von Soul, R&B, Funk, genau wie ich. Ich liebe Progressive Rock und Metal, meine Favoriten sind OPETH und CYNIC. Roman liebt DILLINGER ESCAPE PLAN, KARNIVOOL und so weiter. Es gibt auch Bands, die wir alle hören, z.B. GOJIRA.

Tatiana hat eine wunderbare Vielfalt zu singen und ihre Stimme zu nutzen. Hat sie auch die Death Grunts gemacht, oder wurden die von euch Männern beigesteuert?

Eugene: Hahahaha, niemand von uns Kerlen singt auf der Scheibe oder live. Alle Vocals, die man hört, stammen von Tatiana - auch die Grunts und Schreie.

Hat sie außer JINJER noch andere Banderfahrung? Ich habe gehört, dass sie eigentlich nur zur Aushilfe bei euch eingeplant war?

Eugene: Richtig, sie war eigentlich vorgesehen, ein Konzert mit uns zu spielen. Und du siehst, wohin das geführt hat. Um ehrlich zu sein haben wir alle eine Menge Bands vor JINJER gehabt. Tati hatte Bands unterschiedlicher Stilrichtungen - Metal, Reggae, Funk.

Tut mir leid, wenn ich etwas ins Politische abdrifte, aber wir kommen kaum in Kontakt mit der ukrainischen Szene. In welchem Teil der Ukraine lebt ihr und wie läuft es momentan - so als Band und privat?

Eugene: Wir leben zur Zeit alle in Kiew, aber tatsächlich kommen wir aus der Donetsk-Region, der Ost-Ukraine, genau daher, wo aktuell Krieg ist. Tja, das Leben jetzt hier ist OK, wenn man vom Nazi-Abschaum mal absieht, der gelegentlich durch die Straßen marschiert. Das verpestet ziemlich die Luft. Natürlich ist aber das Leben zuhause verdammt kompliziert, unsere Eltern leben immer noch in der Region, die vom Krieg zerrissen wird.

Nutzt ihr ausländische Medien, um einen Eindruck zu bekommen, wie die Berichterstattung außerhalb eures Landes ist - gerade in Westeuropa und in Russland?

Eugene: Jepp. Wir wissen, was auf beiden Seiten erzählt wird. Sie lügen alle. Sie sind alle parteiisch. Fast alle Nachrichten im TV oder im Internet sind Propaganda, die einen zu bestimmten Überzeugungen bringen soll.

Gibt es irgendwas, was du im Umgang der internationalen Berichterstattung mit dem Ukraine-Konflikt gerne ändern würdest?

Eugene: Es wäre cool, wenn die Medien zeigen würden, was in Wirklichkeit passiert. Vor allem das Schicksal der Zivilisten - über fünf Millionen Menschen leben noch im Gebiet des militärischen Konflikts und normale Leute leiden und sterben jeden Tag, nur weil irgendjemand geopolitische Interessen verfolgt. Sie werden gleichermaßen von der ukrainischen Armee wie von den Separatisten zerbombt. Ich kenne ein Mädchen, deren komplette Familie bei einem Bombenangriff auf Gorlovka ums Leben kam. Ich meine wirklich KOMPLETT, sie ist nun eine Waise. Ich kenne Jungs, die zur Waffe griffen und auf beiden Seiten des Konflikts kämpfend ums Leben kamen, sei es in der Armee oder bei den Separatisten. Wir alle wissen, dass Putin Blut an den Händen hat, aber die Wahrheit ist, dass die ukrainische Regierung und Präsident Poroshenko genauso gewissenlos und blutrünstig sind.

Genug erst einmal über die Politik ... was kannst du uns denn über die ukrainische Metalszene erzählen? Ist sie lebendig oder habt ihr eher Verbundenheit im Underground?

Eugene: Oh, ich glaube, unsere Szene ist vor allem im Underground. Dennoch haben wir einige echt coole Bands hier. Sie treten manchen Majoracts in den Arsch, glaub mir. Wenn du mal Zeit hast, check mal MEGAMASS, SPACE OF VARIATIONS, ZLAM und JONCOFY an.

Die Produktion eures Albums ist sehr laut und klar. Wer hat diesen Job gemacht und wie lange haben die Aufnahmen gedauert?

Eugene: Wir haben aufgenommen, gemischt und gemastert in Kiewer Morton Studio. Wir haben nicht nur coole Bands, sondern auch coole Soundengineers und Studios hier. Max Pasechnik vom Morton Studio hat mit uns zwei Alben gemacht und wir sind extrem glücklich, dass wir Weltklassealben "Made In Ukraine" geliefert haben.

Wieviel der Kosten bekommt ihr über Musikverkauf, Merchandise und Tickets wieder rein, und wieviel schießt ihr von privatem Vermögen dazu?

Eugene: Hehe, wir haben keine Einkünfte außer JINJER. In anderen Worten: wir haben keinen Job außer dieser Band. Wir decken alle Kosten mit den Einnahmen aus der Musik.

Wie wichtig ist für euch der westeuropäische Markt in Osteuropa? Wo liegt euer Fokus?

Eugene: Alle Märkte sind wichtig und jede Band sollte immer neue Märkte erschließen. Wenn du innerhalb deiner Komfortzone bleibst, wird es die Band kaputtmachen.

Und welches Land außerhalb der Ukraine war bisher euer erfolgreichstes?

Eugene: Ich glaube, wir haben den besten Support nicht einmal in der Ukraine, sondern in osteuropäischen Ländern wie Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Und nur das aktuelle Album hat einen weltweiten Vertrieb. Vorher gab es das nicht. Soweit ich weiß, ist das Album auch in den Staaten recht erfolgreich - zumindest nach den Maßstäben eines Newcomers.

Habt ihr Tourpläne in Europa oder Übersee?

Eugene: Selbstverständlich, Ende September beginnt die "King Of Everything"-Tour. Neben den angekündigten Konzerten spielen wir auf dem EuroBlast in Deutschland, in Polen, der Schweiz, Frankreich, Spanien, Italien, Österreich und Slowenien. Ihr könnt die Tourdaten auf unserer Facebook-Seite einsehen. Im November werden wir auch in Israel spielen. Und das war noch nicht alles, wir wollen auch 2017 touren, um möglichst viele zu erreichen.

Danke für deine Zeit - jetzt ist hier noch etwas Platz, wo du unseren Lesern noch alles sagen kannst, was du schon immer sagen wolltest!

Eugene: Unterstützt weiter gute Musik, seit offen, bleibt klug. Checkt JINJER - "King Of Everything"!

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