Ein Interview von Metal Marcus vom 10.04.2025 (8287 mal gelesen)
Am 25.04.25 erscheint mit "Welcome To The Future" das achte Album von H.E.A.T. Zwischen zwei Konzerten von AVANTASIA fand Sänger Kenny Leckremo Zeit, um sich via Zoom meinen Fragen zu stellen. Er hatte einiges zu erzählen. Vielen Dank auch an Anne und Sunny für die Fotos vom Pott Out Festival und dem AVANTASIA-Konzert (beide im RuhrCongress Bochum).
Hi Kenny. Wie geht es dir?
Kenny Leckremo: Hi Marcus. Mir geht es gut, sehr gut sogar. Ich bin gerade erst wieder reingekommen. Wir sind ja mit AVANTASIA auf Tour. Ich habe gerade kurz mit Tobi gesprochen, als wir uns so unterhalten haben meinte er: "Kenny, hast du nicht ein Interview?" Und ich meinte: "Doch, habe ich. Habe ich." Und er "Tut mir leid, ich will dich nicht aufhalten." Und ich dachte: "Scheiße, ich muss los." Es wird ein bisschen chaotisch, weißt du, wir spielen fast jeden Tag und dann fahren wir in neue Hotels, und alles ist völlig durcheinander.
Also, du kommst aus Schweden, richtig? Sprichst du Deutsch? Ich glaube, einige Leute in Schweden können Deutsch.
Kenny Leckremo: Nicht wirklich. Aber ich verstehe schon ein paar Sätze und schnappe ein paar Sachen auf. Es ist nicht komplett anders als Schwedisch. Gerade jetzt, wo ich so viel Zeit mit Deutschen verbracht habe. Die Jungs aus der Band, glaube ich, sind alle Deutsche. Auch Tobi und natürlich viele aus der Crew. Weißt du, es gibt viele Deutsche, aber auch viele Nichtdeutsche, eigentlich genauso viele, aber ja, es gibt definitiv viele Deutsche auf der Tour. Ab und zu sagen die Leute irgendeinen Mist auf Deutsch zu mir und nach einer Weile fängt man an zu verstehen, jedenfalls irgendwie.
Zunächst einmal vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview nimmst und nachtäglich alles Gute zum Geburtstag. Ich glaube, es ist noch nicht so lange her.
Kenny Leckremo: Danke. Nein, es war erst vor wenigen Tagen.
Ich glaube, es war der 14. März und nicht nur dein Geburtstag, sondern auch der Startschuss für die AVANTASIA-Tour in Hamburg. War das ein toller Geburtstag oder eher nicht? Also, an deinem Geburtstag auf Tour zu sein.
Kenny Leckremo: Ich glaube, ich habe aufgehört, auf meinen Geburtstag zu achten. Wie man das halt so macht, wenn man 18 oder 19 ist. Geburtstag? Es ist egal. Es ist einfach ein ganz normaler Tag. Ich glaube, für mich war es aber diesmal echt cool, weil ich nicht wusste, dass so viele Leute von der AVANTASIA-Truppe davon wussten. Es waren also ständig Leute da, die kamen und sagten: "Hey, hey, alles Gute zum Geburtstag!" Vor und nach der Show kamen Leute rein und alle Jungs aus der Band und die Sänger haben gesungen und ja, das war cool. Es war eine gute Art, Geburtstag zu feiern, so als Auftakt einer Tour. Die Stimmung ist ausgelassen. Alle sind aufgeregt. Wir hatten auch eine tolle Show in Hamburg.
Wie du ja schon erwähnt hast, bist du gerade mit AVANTASIA auf Tour. Meinen Recherchen zufolge wart ihr gestern in Luxemburg und morgen spielt ihr in Berlin. Es stehen noch viele weitere Konzerte an. Dann steht auch gleich ein neues H.E.A.T.-Album vor der Tür. "Welcome To The Future" erscheint am 25. April, also sehr bald und gleich danach startet ihr eure Südamerika-Tour. Das klingt zwar ziemlich stressig, aber gleichzeitig auch, als würde man den Traum eines jeden Musikers leben.
Kenny Leckremo: Yeah. Im Grunde hast du mir die Worte aus dem Mund genommen. Es ist ein verdammt großes Privileg für einen Musiker, so etwas mitzuerleben. Ich glaube, es ist immer so: Wenn Musiker jung sind und hart an ihrer Karriere arbeiten, verbringen Sie jede freie Minute damit, zu proben und an ihren Instrumenten besser zu werden, und träumen von dem Tag, an dem sie auf Tour gehen und die ganze Welt bereisen können. Natürlich gibt es auch Momente, in denen es hart wird: Man muss viel Zeit fernab der Familie verbringen, aber gleichzeitig - ich sage es immer gerne - singen, tanzen und dafür bezahlt zu werden, ist etwas ganz Besonderes. Ich denke, man kann jeden fragen, der in diesem verrückten Geschäft ist. Wenn man einen Schritt zurücktritt, wird man wirklich schätzen, wie besonders es ist und wie cool es ist, das machen zu können. Ich bin sehr dankbar dafür. Du triffst Leute wie zum Beispiel Tobi, der das alles ja schon lange macht. Man sieht ihm immer noch die Begeisterung und die Freude an, die es ihm bereitet. Es ist wirklich, wirklich, wie einen Traum zu leben. Ja, genau das mache ich!
Ich erinnere mich noch genau, dass ich Tobi das erste Mal 1999 mit EDGUY gesehen habe, als sie eine Support-Show für GAMMA RAY machten.
Kenny Leckremo: Wir sprechen ziemlich oft über diese alten Supports und Tourneen, weil die Leute viele Anekdoten aus dem Hut ziehen. Natürlich reden wir auch darüber, wie H.E.A.T. vor langer Zeit bei EDGUY Support waren. Das war unsere allererste große Tour als Band, und EDGUY haben uns einfach mitgenommen, weil sie uns toll fanden. Sie meinten einfach: "Ja, das ist eine tolle Band. Die müssen mit uns auf Tour gehen." Heute passiert sowas eher selten, weil es viel mehr um finanzielle Entscheidungen und so geht. Und es ist echt cool, Teil der Geschichte einer anderen Band wie EDGUY zu sein. Sie sagten damals: "Wir lieben diese Band, also wollen wir sie mit auf Tour nehmen!" Es war kein: "Oh, die helfen bestimmt beim Ticketverkauf." Weißt du, wir hatten damals einfach - noch - keinen großen Durchbruch. Es gab vielleicht eine kleine Melodic Rock-Szene da draußen, die uns kannte. Aber das waren nicht viele Leute, weil wir noch ganz neu waren. Wir hatten gerade unser erstes Album veröffentlicht, aber dennoch waren sie total glücklich, uns dabei zu haben. Aber jetzt "Fast Forward": Es ist lange her, und ich bin zurück in der Band und mache all diesen Kram und ich bin total gespannt auf die Zukunft von H.E.A.T. und auf das, was da kommt.
Ja, was da kommt. Der Titel der Platte lautet "Welcome To The Future“. Es ist eure achte Platte und die vierte mit dir als Sänger. Was können die Fans nach deiner Meinung von dieser neuen Platte erwarten?
Kenny Leckremo: Ich denke, in diesem Album dreht sich alles um Entdeckungen. Es ist ein Album, das man sich wirklich anhören sollte, weil es so viele verschiedene Elemente, Dynamiken und Dinge enthält. Ich bin wirklich begeistert, dass wir als Band wieder ein Album veröffentlichen, das nicht versucht, irgendetwas zu übertreffen. Das nicht versucht, etwas anderes zu sein. Es ist einfach kompromisslos sein eigenes Ding. Ein eigenes Album mit eigenem Artwork, eigenen Gedanken dahinter und einem eigenen kreativen Prozess. Ich bin einfach begeistert, dass wir als Band in der Lage sind, ein solches Album zu machen. Ich glaube, die meisten Bands machen so etwas, wenn sie vielleicht zwei oder drei Alben haben. Ich finde es ist wirklich etwas Besonderes, weil es für jeden etwas bietet, egal ob man Melodic Rock, Heavy Metal, AOR oder einfach nur Rock 'n' Roll mag. Ganz egal. Dieses Album hat von allem etwas, was meiner Meinung genau das ist, was H.E.A.T. sein soll.
Wie bereits erwähnt lautet der Titel "Welcome To The Future". Ihr heißt die Hörer also in der Zukunft willkommen, liefert aber gleichzeitig den perfekten Retro-Sound. Verstehst du, was ich meine? Dieses Album klingt in meinen Ohren, als könnte es direkt aus den Achtzigern stammen, und das ist als Kompliment gemeint.
Kenny Leckremo: Ich sage das gerne und habe das auch schon in früheren Interviews gesagt. Weißt du, vor langer, langer Zeit, so in den Sechzigern - oder sogar Fünfzigern - träumten die Leute von der Zukunft und davon, wie sie aussehen würde. Sie stellten sich Dinge vor wie fliegende Autos, all diesen verrückten Scheiß, wie das Leben auf anderen Planeten oder schwebende Städte. Ich glaube, all das hat uns sehr inspiriert. Bei diesem Album ist es fast so, als hätten wir es auf eine ziemlich retromäßige Art und Weise verpackt, aber es ist ein bisschen so, als ob man sich vorstellen würde, was eine Band oder ein Künstler in den Achtzigern über die Zukunft denken würde. Wie wird die Zukunft aussehen? Wie wird die Zukunft klingen? Das ist sozusagen die Essenz dahinter. Es hat ein bisschen dystopische Themen, ob wir nun in einer Dystopie leben oder ob es etwas ist, das sich in der Zukunft entwickeln könnte. Wie gesagt: Ich nenne es gerne ein Album der Entdeckungen. Man muss es sich anhören, es in sich aufnehmen, über die Themen nachdenken und seine eigenen Schlüsse ziehen. Ich denke, das wäre das Beste, aber ja, es ist cool.
Eine etwas andere Frage: Zwischen dem letzten und diesem Album habt ihr eine EP namens "Extra Force" veröffentlicht. Darauf waren Neuaufnahmen mit dir am Gesang und einige Live-Mitschnitte zu hören. Ich war etwas überrascht über diese Veröffentlichung, weil du immer das Gefühl hast, dass sich physische Veröffentlichungen nicht wirklich lohnen. Warum habt ihr das gemacht? War es eine Art Fanservice oder einfach nur, weil ihr der Meinung seid, dass Musik auf einem physischen Medium veröffentlicht werden muss?
Kenny Leckremo: Ich denke, es ist eine Kombination. Es ist definitiv etwas, das für die Fans und die Leute gedacht ist, die unsere Musik mögen und uns oder viele andere Bands unseres Genres unterstützen. Denn wie ihr wisst, sind wir so etwas wie die letzte Bastion des physischen Verkaufs, weil viele, viele Rockfans - von Rock bis zum härtesten Metal - immer noch das physische Produkt kaufen. Wir schauen uns gerne die Bilder an, lesen gerne die Texte. Wir möchten eine Verbindung zur Band aufbauen und die Band unterstützen, die wir mögen. Ich denke, "Extra Force" war eine großartige Gelegenheit, einfach etwas dazwischen zu machen. Wir hatten ein paar Tracks, die bereit zur Veröffentlichung waren, und ein paar Live-Mitschnitte und so, und wir dachten: Warum nicht einfach alles veröffentlichen? Es wäre ja eine Schande gewesen, es nicht zu tun. Unsere Plattenfirma hat uns und unsere Arbeit unglaublich unterstützt, und sie haben das genauso empfunden. Sie waren es also, die uns teilweise dazu gedrängt haben, "Extra Force" rauszubringen. Ich finde es großartig. Und ich würde gerne mehr davon machen, mal sehen, was in Zukunft passiert. Aber ja, es war cool. Es hat mir Spaß gemacht, es zu veröffentlichen, und ich denke, je mehr Musik und mehr Dinge man veröffentlichen kann, desto besser.
Ja, da stimme ich voll und ganz zu. Ich bin ein - auf Deutsch sagt man: Jäger und Sammler, oder auf Englisch Collector. Das ist genau mein Ding: Solche Dinge sammeln.
Kenny Leckremo: Ich denke, genau das ist es auch. Es gibt den Fans die Möglichkeit, sich noch stärker zu vernetzen. Und ich finde, das ist eine gute Sache. Heutzutage dauert es manchmal ziemlich lange, bis eine Band ein neues Album veröffentlicht. Deshalb finde ich es besser, einfach weiterzumachen. Man hat ein paar Songs, die man den Leuten einfach präsentiert. Bringe den Fans immer wieder frische Musik. Die Leute werden es lieben. Man sieht auch, dass es eine ziemlich coole Veröffentlichung war, was für uns überraschend war. Niemand hatte gedacht, dass es eine wichtige Veröffentlichung sein würde, aber es hat tatsächlich ganz gut funktioniert und das ist gut zu wissen.
Auf der Live-Aufnahme bezeichnetest du den Song 'Living On The Run' als deinen Lieblingssong von H.E.A.T.. Was macht diesen Song für dich so besonders? Der Song stammt ja aus der Zeit, als du nicht Mitglied bei H.E.A.T. warst.
Kenny Leckremo: Ich glaube, es hat eine Weile gedauert, bis ich nach meinem Ausstieg aus der Band etwas Abstand gewonnen hatte. Es ist wie in jeder Beziehung, einfach sehr schwierig. Man macht eine Phase im Leben durch, in der man denkt: "Ich will diese Person jetzt nicht sehen." Ich will nichts von ihr wissen. Man hat eben diese sehr schwierige Trennung hinter sich. Als sie dann "Adress The Nation" herausbrachten, war ich immer noch etwas besorgt. Ich habe nicht so richtig mitbekommen, was da so los war. Aber dann bin ich rein zufällig über den Song gestolpert und dachte: "Verdammt, das ist ein geiler Song!" Ich mochte ihn einfach, fand ihn toll, und viel mehr ist es gar nicht. Ich fand ihn einfach richtig toll und ich konnte mir definitiv vorstellen, ihn irgendwann selbst zu singen. Das war alles.
Es ist also einfach ein Gefühl und nicht der Text oder so etwas. Einfach dieses Gefühl, zu denken: "Ja, es ist großartig!" Und auf der neuen Platte? Gibt es einen Song wie diesen, bei dem du sagen würdest: Wow, das ist mein absoluter Lieblingstrack von den neuen zwölf?
Kenny Leckremo: Ich glaube, ich bin dem kommenden Album noch etwas zu nahe. Ich brauche etwas mehr Zeit, um Abstand zu gewinnen. Ich klammere meine Gefühle darüber aus, denn im Moment finde ich es einfach ein wirklich spannendes und cooles Album, aber ich kann mich unter all den Songs nicht wirklich für einen Favoriten entscheiden. Es fühlt sich an, als wäre das unmöglich für mich. In der einen Woche genieße ich die einen Songs wirklich, in der nächsten Woche andere und so weiter und so fort. Aber vielleicht liegt das auch in der Natur dieses Albums. Vielleicht ist es einfach das Gute und das Schlechte daran, dass es immer verschiedene Elemente gibt, die mir gefallen. Es gibt keinen klaren Weg für mich. Es ist nicht so, dass ich mir sage: "Oh ja, es sind diese drei oder vier Songs, und das war's.' Alles haben etwas, was mir gefällt, und ich bin irgendwie überrumpelt, verstehst du? Und ich denke: "Oh mein Gott, das liebe ich!" Es ist einfach noch zu frisch. Vielleicht fragst du mich ja in einem Jahr, dann weiß ich eine gute Antwort. Verstehst du, was ich meine?
Ja. Es sind also zwölf Songs auf der Platte. Sie klingen alle sehr eingängig. Wie habt ihr entschieden, welche Songs als Singles und Videos erscheinen?
Kenny Leckremo: Ich denke, da spielt auch wieder die Beziehung zu unserer Plattenfirma eine Rolle. Natürlich hat man auch viele Leute um sich, sei es in der Band oder in der Familie, und es ist einfach eine Kombination. Man bekommt Feedback von der Plattenfirma, und die haben eine bestimmte Meinung, dann kommt das Feedback aus der Band selbst und dann das Feedback von den Leuten um einen herum, von Familie und Freunden. Man kann das Album zum Beispiel gelegentlich jemandem aus dem Umfeld vorspielen, etwa seinen Kollegen, vielleicht anderen Bands oder anderen Musikern, die man kennt, oder wem auch immer. Es ist einfach eine Meinung, die sich mit der Zeit entwickelt. Aber letztendlich weiß ich immer noch nicht, ob die Singles die richtigen sind. Ich habe keine Ahnung. Ich schätze, wir werden es erst wirklich wissen, wenn das Album eine Weile draußen ist und die Leute anfangen zu erzählen, was sie mögen und was nicht. Es ist so schwierig, Singles zu wählen und es gibt keinen perfekten Weg.
Einer der Songs heißt 'Children Of The Storm'. Wer sind die Kinder des Sturms, die in diesem Track erwähnt werden? Worum geht es darin?
Kenny Leckremo: Ich denke, du solltest wahrscheinlich Jona fragen, denn er hat den Großteil des Songs geschrieben. Aber, wenn ich es kurz zusammenfassen muss, geht es ein bisschen darum, was wir jetzt tun, wie wir die Zukunft gestalten und was unser Vermächtnis für die kommende Generation sein wird. Sie werden die 'Children Of The Storm' sein. Sie werden die Zukunft gestalten. Also willkommen in der Zukunft! Im Grunde greift alles irgendwie zusammen. Ich würde jetzt nicht sagen, dass alle Songs dasselbe Thema behandeln, aber viele Songs vermitteln auf unterschiedliche Weise die tiefere Bedeutung des Albums.
Okay. Wie ist das: Bist du ein 'Rock 'n' Roll-Rebell', wie es in einem Lied heißt?
Kenny Leckremo: Ob ich einer bin? Ich denke schon: Zusammen mit Tausenden von anderen Fans und Leuten, die Rock 'n' Roll-Konzerte auf der ganzen Welt besuchen. Auf jeden Fall. Ich meine, im Jahr 2025 gibt es viele Leute, die nicht einmal wissen, was Rock 'n' Roll ist. Viele Leute wissen nicht, was Heavy Metal ist. Viele Leute kennen diese Art von Musik, die wir alle lieben, überhaupt nicht. Sie kommen nie damit in Berührung, aber wir, die immer wieder Konzerte besuchen, die - wie du - immer wieder über diese Musik schreiben, die diese Musik machen, die wir genießen und sie leben. WIR sind die Rock 'n' Roll-Rebellen.
Ja, das klingt cool. Da stimme ich dir vollkommen zu! Kommen wir zum letzten Songs des Albums. Er heißt 'We Will Not Forget'. Was genau werdet ihr nicht vergessen?
Kenny Leckremo: Es behandelt ein ähnliches Thema wie 'Children Of The Storm'. 'We Will Not Forget' ist im Grunde eine Anspielung auf Dinge, die vor uns getan wurden, um uns das zu ermöglichen, was wir heute erleben und tun können. Auch dieses Lied, zumindest textlich, stammt hauptsächlich von Jona. Jona wäre also wahrscheinlich die beste Person, die man fragen könnte. Aber was ich dir gerade erklärt habe, ist der Inhalt des Liedes in der Kurzfassung.
Okay, lass uns über etwas anderes reden. Du bist mit AVANTASIA auf Tour und singst auf der neuen Platte den Song 'Against The Wind'. Was ist der Unterschied zwischen dem Singen für AVANTASIA und dem für H.E.A.T.? Ist es ein anderer Ansatz? Hat Tobi gesagt: "Sing da genau SO!" oder konntest du es machen, wie du selbst es wolltest?
Kenny Leckremo: Ja. Tobi möchte einfach, dass ich so viel ich selbst bin wie möglich. Er möchte nicht, dass ich versuche etwas zu sein, was ich nicht bin. Er möchte, dass ich bin, wer ich bin, und dass ich das einbringe, was mich ausmacht. Ich denke, das ist eines der großartigen Dinge an AVANTASIA. Das Coolste daran, ein Teil davon zu sein, ist definitiv, dass man so viele verschiedene Sänger, so viele verschiedene Stile, so viele verschiedene Musiker hat, und das alles vereint sich zu diesem richtig coolen, harten, rockigen Heavy-Metal-Sound, weil so viele verschiedene Inputs von überall her zusammenkommen. Ich habe das Lied ja nicht nur für "Here Be Dragons" eingesungen, sondern singe es jetzt jeden Abend, und es wird immer besser und macht immer mehr Spaß. Ich habe einfach so viel Spaß mit dem Lied. Es ist großartig und ich finde, es ist auch ein großartiges Album. Aber als Sänger muss ich versuchen, so viel ich selbst zu sein wie möglich. Und genau das ist es, was du bei H.E.A.T. bekommst. Ich versuche nicht, anders zu sein für AVANTASIA, also ist es im Grunde gar kein Unterschied für mich als Sänger. Der Unterschied ist, dass ich nicht mit meinen Brüdern spiele, mit denen ich schon als Teenager gespielt habe. Sie sind meine Familie. Wir machen zusammen Musik und teilen dieses verrückte Musikerleben. H.E.A.T. ist in gewisser Weise mein Zuhause. Aber ich will AVANTASIA damit nicht schmälern, denn AVANTASIA ist wirklich eine eigene Familie. Und ich freue mich riesig, ein Teil davon zu sein. Ich finde, es ist eine tolle Ergänzung zu dem, was ich mit H.E.A.T. mache, denn bei AVANTASIA ist es ein bisschen mehr, ähm, wie soll man es nennen? Ein bisschen traditionellerer Metal und manchmal hat es sogar dieses Power Metal-Element, mit dem ich aufgewachsen bin. Ich habe das sehr viel gehört. Weißt du, ich bin als Schlagzeuger gestartet. So habe ich meine musikalische Laufbahn begonnenn. Wenn ich Schlagzeug, Bassdrum, Doublebass und so üben wollte, habe ich AVANTASIA und EDGUY oder natürlich BLIND GUARDIAN gehört. AVANTASIA haben eine große Rolle gespielt, als ich anfing, Musiker zu werden. Und so viele Jahre später hier zu sein und für AVANTASIA zu singen, ist völlig verrückt. Letztes Jahr in Wacken sind wir vor mehreren Zehntausenden von Fans aufgetreten.
Ich war dort. Apropos Live-Auftritt: Dein Bühnenoutfit weckt irgendwie Assoziationen an Bruce Dickinson. Ist das Zufall?
Kenny Leckremo: Wenn ich jetzt sage, dass es Zufall ist, würden die Leute brüllen: "Bullshit!" Aber es ist nicht so, dass ich aktiv versuche, wie Bruce Dickinson auszusehen. Es ist einfach so: Ich liebe es, die Tights zu tragen. Sie geben mir das Gefühl, auf der Bühne vollkommen frei zu sein. Sie geben mir das Gefühl, mich bewegen zu können, wohin ich will und mit meinem Körper, meinen Beinen und allem machen zu können, was ich will. Sie behindert mich in keiner Weise. Es ist wie eine zweite Haut. Und ich glaube, das ist es, was ich mag. Ich spiele gerne Hardrock oder Heavy Metal und trage dabei einfach nicht zu viel, was mich stört. Und ich finde, dass zum Beispiel Jeans mich echt stören. Und ich will diese zweite Haut, besonders an meinen Beinen, und dazu etwas Cooles und Metallisches. Darum trage ich diese Kette und sie ist einfach unglaublich. Sie fühlt sich toll an. Sie ist höllisch schwer. Fast sechs Kilo. Ich liebe die Dramatik und den Effekt, ein Frontmann zu sein, der diese Energie in sich trägt, aber nicht nur in sich, sondern man kann sie auch nach außen tragen. Und ich finde, das ist das Coole an Leuten wie Bruce Dickinson und vielen anderen Sängern aus den Achtzigern, die ähnliche Musik gemacht haben: Sie trugen etwas, das ich gerne als zweite Haut bezeichne, und haben dann einfach ein paar Utensilien hinzugefügt. Ich denke, es ist der Versuch, das innere Gefühl irgendwie zu vermitteln und es äußerlich auszudrücken, und das finde ich wirklich toll. Es passt wirklich gut und gibt mir ein gutes Gefühl auf der Bühne.
Okay. Du siehst auf der jedenfalls aus, als hättest du verdammt viel Spaß, keine Frage. Es wirkt natürlich. Es gibt Leute, die sehen so verkleidet aus. Aber wenn du es mit H.E.A.T. oder AVANTASIA machst, sieht es richtig aus, nicht verkleidet. Du trägst kein Kostüm.
Kenny Leckremo: Für mich ist es kein Kostüm. Es ist genau mein Ding. Es ist eine Frage von Leben und Tod. Das ist, was ich trage. Das ist, wer ich bin. Es ist eine Erweiterung meines inneren Gefühls. Ich tue nicht so, als ob ich etwas vortäusche. Ich finde, es wäre schon etwas komisch, in diesem Outfit in Berlin auf der Suche nach einem Sandwich die Straße entlangzulaufen. Aber weißt du, vielleicht ändert sich das mit der Zeit noch. Mal sehen.
Ich denke, Berlin ist sehr aufgeschlossen. Vielleicht probierst du es ja mal. Du arbeitest ja mit Tobi Sammet und vielen anderen Leuten bei AVANTASIA zusammen. Gibt es einen Künstler, mit dem du in Zukunft gerne mal zusammenarbeiten würdest? Ein Idol oder jemandem, bei dem du denkst: Wow, das wäre genau das Richtige. Das große Ding?
Kenny Leckremo: Ich finde es echt witzig, dass du diese Frage stellst, denn ich habe das auch schon mal gesagt. Es gab so viele Momente, in denen mich Leute gefragt haben: "Würdest du dir vorstellen, mit einer anderen Band oder einem anderen Künstler zusammenzuarbeiten oder so?" Ich habe fast immer dasselbe geantwortet: Wenn es etwas gäbe, was mich interessieren würde, dann wäre das - einfach weil ich glaube, es würde viel Spaß machen - AVANTASIA. Und jetzt bin hier in Berlin und auf Tour mit AVANTASIA. Das ist eine etwas beschissene Antwort, ich weiß, aber es ist die Wahrheit. Es ist einfach so. H.E.A.T., das bin ich. Aber AVANTASIA ermöglicht es mir, eine ähnliche Kraft durch Musik auszudrücken, nur auf eine etwas andere Art. Und ich habe diese gemeinsame Vergangenheit mit Tobi durch EDGUY am Beginn meiner Karriere und auch im weiteren Verlauf. Tobi hat auch mit H.E.A.T. auf unserem zweiten Album "Freedom Rock" gesungen. Wir haben diese gemeinsame Geschichte. Deshalb fühlte sich AVANTASIA für mich wie die perfekte Sache an. Und weißt du, vor zwei Jahren, als ich Tobi traf und ihn nach vielen Jahren in Finnland wiedersah, sagte er zu mir: "Vielleicht sollten wir mal was gemeinsam machen. Du kommst vielleicht irgendwann mal vorbei und singst.“ Und ich dachte nur: "Das wäre super. Mal sehen, was passiert." Als ich endlich seine Nachricht bekam, war ich total aufgeregt. Nicht nur ich, sondern auch der Rest der Band, denn ich glaube, alle dachten so, verstehst du? Und so geht es mir immer noch. Ich habe immer noch das Gefühl, dass es nicht so viele andere Künstler oder Bands gibt, mit denen ich gerne auftreten würde, weil ich sie alle auf IHRE Art großartig finde. Und ich möchte sie nicht verändern oder die Musik, die ich mag, beeinflussen. Ich mag es, wenn Bands ihren eigenen Stil haben und IHR Ding machen. Ich mag es, wenn Künstler ihr eigenes Ding haben, denn das macht Musik aus. Ich sage jetzt nicht, dass ich nicht ein oder zwei Songs mit einer anderen Band singen würde. Das wäre cool. Warum nicht? Aber ich kann dir außer AVANTASIA keine klaren Beispiele nennen.
Ich glaube dir, ganz klar. Noch eine letzte Sache: Im Dezember letzten Jahres hast du mit H.E.A.T. beim Pott Out-Festival in Bochum gespielt, und beim ersten Song 'Back To The Rhythm' kam kein Sound aus der PA, und im Publikum hörte man nur das Schlagzeug. Und naja, zunächst wirkte das Ganze wie ein geplantes Showelement. So nach dem Motto: "Da hört man nur Schlagzeug, und jetzt zack, geht's los." Alle haben erwartet, dass etwas passiert, aber es ist nicht passiert. Was ist also schiefgelaufen? Und hast du so etwas schon einmal erlebt?
Kenny Leckremo: Nein. Das war das erste Mal in meiner Karriere, dass ich auf so einer großen Bühne stand und keinen Sound aus der PA hatte. Mir wurde gesagt, dass die Jungs, die die Bühne aufgebaut hatten, alles getestet und überprüft hatten. Vor der Show funktionierte alles. Dann hatte irgendwo zwischendurch jemand das Kabel gezogen oder einen Fehler mit einer der Verkabelung gemacht. Ich glaube, ein oder zwei Kabel waren falsch angeschlossen. Also etwas ganz Einfaches, aber es das reichte aus: Im Grunde funktionierte alles dadurch nicht mehr. Wegen ein oder zwei verkehrt gesteckten Kabeln. Und das war ein echtes Novum in meiner Karriere. Ich erinnere mich auch, wie es weiterging als wir merkten, dass wir keine PA hatten. Ich fing an, lauthals ins Publikum zu schreien: "Hört ihr mich, hört ihr mich?" So in etwa. Und dann sang ich einfach "Back to the rhythm of ..." Und das Publikum sang weiter: "Back to the rhythm of fire!" Das war echt cool. Vielleicht übernehmen wir das für die Zukunft. Wer weiß? Ich meine, am Ende war es irgendwie cool.
Ich war in den letzten 30 Jahren auf vielen Konzerten und habe schon erlebt, wie der Strom ausfiel oder eine Saite riss oder was auch immer. Aber das war auch für mich das erste Mal, und ich dachte: Wow. Und du es geschafft hast die Situation zu retten, indem du zurückgegangen bist und den Leuten gesagt hast: "Scheiß drauf. Es ist Rock 'n' Roll. Machen wir weiter!" Das fand ich echt cool. Da zeigte sich auch, dass es wirklich live ist, und nicht vom Band kommt.
Kenny Leckremo: Genau. Es ist live. Und wenn es live ist, kann alles schiefgehen. Das stimmt. Mir macht das auch sehr viel Spaß, denn so bin ich aufgewachsen und so möchte ich es auch den Leuten präsentieren. Ich möchte diesen Musikstil genau so präsentieren, und ich denke, in unserer Musikrichtung, in der Rockmusik im Allgemeinen, sind wir diejenigen, die immer live spielen. Vielleicht nicht jeder, aber ein großer Teil von uns da draußen tut das, und das ist etwas ganz Besonderes, gerade heute im digitalen Zeitalter. Es tut mir leid, aber: Es gibt da draußen so viel digitalen Mist, und das nimmt das Menschliche. Verstehst du? Ich möchte eine echte Gitarre, gespielt von einem Menschen. Ich möchte einen Schlagzeuger, der großartig ist in dem, was er tut. Ich möchte einen Sänger, der aus vollem Herzen singt. Live … die Energie spüren. Das ist es, was man will. Die Energie spüren, aber dafür bezahlt man ja auch, oder? Wenn du zu einem Konzert gehst, ist das genau das, was du willst. Ich meine, wenn du einfach nur Musik hören willst, könntest du doch zu Hause bleiben und dir das verdammte Album anhören, oder?
Ja, ich weiß, wovon du sprichst. Absolut. Ja. Leider ist unsere Zeit vorbei. Vielen Dank, Kenny. Es war mir ein Vergnügen.
Kenny Leckremo: Vielen Dank, Marcus, für die Gelegenheit, mit dir über H.E.A.T. und Musik im Allgemeinen zu plaudern. Ich gehe jetzt mit den anderen AVANTASIAs zum Abendessen. Auf Wiedersehen!