BÄÄÄM

Take off: 18.07.2014 - Review (7104 mal gelesen)
Am 18. und 19. Juli fand dieses Jahr zum ersten Mal das BÄÄÄM Open Air im tiefsten Sauerland statt. Nach einer Zitterpartie von Serpentinenfahrt, bei der ein vollbeladener Renault Twingo mit 12km/h im zweiten Gang Steigungen von jenseits der 20% heroisch über sich ergehen ließ, rollt man also auf die Ländereien des Gut Haarbecke einen Steinwurf nördlich des verschlafenen Örtchens Rönsahl. Ein holpriger Feldweg schlängelt sich hier um saftig grüne Kuhwiesen, an dessen baumbesetzten Rand sich schon kurz nach Öffnen der Festivalpforten eine stolze Zahl an Zelten unter die schattigen Linden drängt, um dem perfekten Festivalwetter dieses Wochenendes nach nötigem Maß entgehen zu können.

Am Freitag spielten fünf Bands auf. ERADICATOR und GLORYFUL spielen ausgezeichneten Thrash bzw. Heavy Metal und geben mir aufgrund von Unvertrautheit mit dem Songmaterial die Gelegenheit, den Sound des Guts zu sondieren, das meines Wissens in der Vergangenheit noch nicht mit Stromgitarren- und Doppelbasswucht konfrontiert wurde. Da lässt sich auch recht wenig meckern, wobei man schon anmerken sollte, dass der Soundmensch wohl im klassischen Metalbereich versierter ist als im knüppeligen, was bei dem Kontrast von ERADICATOR zu GLORYFUL weniger zum Vorschein kam, als beim Kontrast von GLORYFUL zu CRAVING. Die Bremer Melo-Death/Black Metal Band ist kurzfristig und - augenscheinlich nicht unwillkommen - für die EVIL INVADERS eingesprungen. Hier gibt es zwar den ein oder anderen Soundausfall, die werden dafür aber auch mit launefördernden Anekdoten und SANCTUARY-Singalongs übebrückt. Sänger Ivan ist zwar so angeschickert, dass man sich eine Zote über sprichwörtliche Wodkaaffinität kaum verkneifen kann, das tritt aber nur zwischen den Songs in Augenschein und alles andere ist eine (leicht rumpelig abgemischte) Frickelorgie jenseits der 200bpm allerhöchster Güteklasse.

Nach der extremsten Band des Festivals, folgen die FREEDOM CALL des kleinen Mannes. CUSTARD aus Herne sind schon eine Weile unterwegs in der deutschen Metallandschaft und haben mit ihrem nicht mehr ganz so neuen Sänger Oliver "Robert of the House Baratheon, the First of His Name, King of the Andals and the First Men, Lord of the Seven Kingdoms and Protector of the Realm" Strasser nun schon zwei Alben am Start. Was davor kam, wird in der Setlist leider größtenteils außen vor gelassen, aber das gespielte Material verfehlt seinen Zweck kein Stück. Man mag es auf den steigenden Pegel des Publikums schieben oder darauf, dass der Sound ab hier wirklich richtig gut wird, aber CUSTARD haben da echt was abgebrannt und so gut in Form habe ich die Jungs auch noch nicht gesehen.

A propos Pegel, der reguliert sich hier über den Erwerb von Diebelsbechern mit Pfand- und Wertmarken. All das gibt es an einem separaten Stand, den Becher kann man gegen umgerechnet 2€ befüllen lassen. Humane Preise soweit, aber leider auch furchtbar kompliziert. Oh, und war das echt Veltins?! Da trinkt man doch Krombacher!

Kurz darauf entfachen jedenfalls BULLET ihre Headlindershow, und Jesus, hatten die Bock. Anderthalb Stunden schwedischen Heavy Metals peitschen die Masse nochmal so richtig auf, und mittlerweile sieht man auch, wie viele Nasen sich auf das Festival verirrt haben, denn vor der Bühne ist es mehr oder weniger gerammelt voll. Nicht nur mit Klassikern wird um sich geworfen, sondern auch mit Pyros, was hier rundum eine astreine Show macht und BULLETs Status als 1a Liveband nochmal untermauert. Wer danach noch steht, ist im Partyzelt gern gesehener Gast, wo die Party noch einige Stunden fortgesetzt wird.

Der nächste Tag beginnt mit Frühstück, und zwar keinem aus Bier und unsäglichem Dosenkram, sondern Stullen! Untem am Gelände werden Frühaufsteher mit dem essenziellsten Kram versorgt, den der geschundene Körper morgens so zum Hochfahren braucht, ehe der Hähnchenschmied gegenüber vom Festivalschankwirt seinen knallroten Grillwagen öffnet. Der ist für den Rest des Tages dann die Hauptkohlenhydratquelle auf dem Gelände und wirft mit preisgünstigen Dingen aus Huhn, Spießbraten und Vergleichbarem um sich. Ein Festival ohne traditionellen Grillstand ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber machbar und bei JAVELIN ist auch noch keiner aus den Socken gekippt!

Ach, da war ja noch was! Der Tag beginnt also mit dem Quartett aus Hamm, das es zwar schon seit 1982 gibt, von dem aber erst seit letztem Jahr ein erstes Album in den Regalen steht. Erwartungsgemäß ist es vor der Bühne morgens um elf noch nicht allzu voll, aber das war den vier Junggebliebenen schnurzegal, die resolut ihr 40-Minuten-Set melodiösen Teutonenmetals darbieten, um danach die Bühne für SPLIT HEAVEN zu räumen. Der Fünfer aus Mexico hatte mitunter den längsten Anreiseweg neben den zwei vor der Bühne völlig ausrastenden Australiern und hat diese Woche schon einige Konzerte im Vorprogramm von CAGE im Rücken. Vergleichsweise wuchtiger und schneller als die Vorband ist hier nach ebenfalls vierzig Minuten Schluß, um die Bühne für den ersten größeren Namen zu räumen.

DRAGONSFIRE aus Hessen sind ein umtriebiger Haufen Spaßvögel, die schon ein enormes Konzertportfolio vorzuweisen haben und sich mit ihrem geradlinigem, powerorientierten Heavy Metal im Billing des BÄÄÄM pudelwohl fühlen. Hier findet schon eine ansehnliche Menge textsicherer Festivalbesucher den Weg vor die Bühne, die zu Songs wie 'Speed Demon', 'Dragonsfire Rockxxx' und 'Blood For Blood', dargeboten von drei Gitarristen, eine Dreiviertelstunde großartiger Show und viel zu wenigen Anstoßens zelebriert.

Dann ist für mich einer der Höhepunkte des Festivals erreicht: um fünf nach zwei ist mit IRON FATE eine der besten Newcomerkapellen Deutschlands am Start. Laufpublikum kriegt ehrfurchteinflößende Coverversionen von HELLOWEENs 'I Want Out' und JUDAS PRIESTs 'Victim Of Changes' (perfekt!!), Liebhaber dürfen sich an einer fast kompletten Darbietung des "Cast In Iron"-Albums erfreuen, allen voran der völlig auslaugende Leviathan 'Iron Fate' und der nackenbrechende Rauswerfer 'Resurrection'. Heavy Metal in Perfektion!

Zu ausgelaugt für BILLION DOLLAR BABIES und außerdem in Stöberlaune, gehe ich die zwanzig Schritte zum Metalmarkt. Eine kleine handvoll Zelte säumt den Platz direkt hinter'm Eingang und hier gibt es nicht nur Stangenware, sondern auch einige Raritäten und Schnäppchen in Textil- Vinyl- und CD-Form. Gegenüber wechselt das Inventar entsprechend der anwesenden Bands. Wie alles auf diesem Festival hat das Merchmeilchen genau die richtige Größe und faire Preise.
Bemängeln ließe sich die Situation der sanitären Anlagen. Vor dem Gelände stehen zwei Duschen und ein Klocontainer, die natürlich in den Morgenstunden einem enormen Andrang ausgesetzt waren. Auf dem Gelände selbst konnte man die Gästeaborte des Guts nutzen. Am Morgen des Abreisetages war aber beides nicht mehr verfügbar, hier hätte die klassische Dixibatterie den morgentlichen Andrang auf die Tankstellentoiletten des Umlandes einigermaßen ausgebremst.

BLOODBOUND aus Schweden haben sich auch schon ihre Sporen verdient und werkeln gerade an Album nummer sechs. Entsprechend groß ist das Repertoir an bühnenerprobten Gassenhauern quer durch die Geschichte der Power Metal Band und auch hier wird vieles richtig gemacht. Neue Titel schön und gut, aber die wirklichen Perlen kommen natürlich vom Debutalbum "Nosferatu". 'Metal Monster' und der Titeltrack mischen die immer größer werdende Masse vor der Bühne gehörig auf und auch hier sind die Publikumsreaktionen wieder durchweg positiv. Für 'Bless The Unholy' bin ich der Band persönlich dankbar und ja, ohne das Wort "Steckdosenleiste" kommt man hierzulande nicht allzu weit.
Wer die letzten zwei Bands dann Pause gemacht hat, wird sich nach IRON FATE auch METAL INQUISITOR nicht entgehen lassen. Frisch mit neuem Album im Anschlag wird die satte Stunde NWoBHM-lastigen Oldschool Heavy Metals von den Koblenzern bestens genutzt, um das Festival musikalisch wieder auf seine Wurzeln zu besinnen und das in gewohnt hoher Qualität und mächtigst lässigen Outfits.

Mit CAGE ist dann auch die Band dran, für die ich auch zum Gut gepilgert wäre, wenn der Rest des Billings aus 15x Lars Ulrich, Dave Mustaine, Joey DeMaio und Geoff Tate covern AVENGED SEVENFOLD bestanden hätte. Wie Rob Halford zu seinen besten Jahren steht Sänger Sean Peck im Ledermantel da, sich nur nicht zu Tode schwitzend, weil Conan Garcias mächtiger Bizeps ihm Schatten gewährt, und kreischt Hymnen über den 'Hell Destroyer', den 'Planet Crusher', das 'Philadelphia Experiment' und die 'Final Solution'. Das entstammt nicht nur dem meiner Meinung nach stärksten Backkatalog des diesjährigen Billings, sondern ist auch eine ordentliche Leistung, weil das Ganze in nahezu unbangbarer Geschwindigkeit und, im Falle Pecks, panzerglassprengener Tonlage geschieht. Lediglich der Sound ist wieder ein Stückweit versumpft, aber der echte Fan erkennt den Song eh an der Bassline und hört vor Mitsingerei nichts anderes. Power Metal Kings indeed und für mich der stärkste Auftritt des Festivals.

FREEDOM CALL, in Kennerkreisen (= von mir) auch als CUSTARD des kleinen Mannes bezeichnet, hauen in eine Kerbe Power Metal, auf die ich nach dem CAGE-Gemetzel nur bedingt Lust habe, dementsprechend wurde dem Gig aus der sicheren Entfernung der Schänke beigewohnt. Quietschfidel und zuckersüß machen 75 Minuten Happy Metal eine ganze Menge Menschen diesseits des Fotograbens ihrerseits ziemlich happy, aber die wenigsten davon gehen zum Zelt, als GRAVE DIGGER die Bühne entern. Die betagten Herren machen wie gewohnt ordentlich Dampf, aber mein Wunsch eines pre-"The Grave Digger"-oldschool Sets wird mir wohl nicht mehr erfüllt. Stattdessen gibt es hier ein buntes Potpourri an Songs quer durch den Gemüsegarten, vorne dabei klar die Songs der aktuellen Schaffensphase dieses Milleniums. Was davor kam, ist auf den Klassikerbestand reduziert und an Stelle von 'Rebellion' oder 'Excalibur' könnte ruhig mal 'Ride On' oder 'Hate' stehen. 'Heavy Metal Breakdown' ist dagegen Pflicht! Sei's drum, die Rückbesinnung auf verkannte Songs großen Kalibers aus den Anfangstagen ist ein Handwerk, das die wenigsten Bands aus Großvaters Zeit beherrschen. Gut ist der Auftritt allemal und damit endet das Festival auch.

Meine Stammfestivals, das Rock Hard und das Headbangers Open Air, waren dieses Jahr wie gewohnt spitze. Aber der Spaßfaktor des BÄÄÄM sucht seinesgleichen! Die Größe (Schätzungen kreisen um die 1000 Leute) ist optimal, so auch die des Geländes. Das Wetter hat einen guten Beitrag zum Gelingen dieses ersten BÄÄÄM geleistet und nicht zuletzt war das Billing oberste Sahne. Hoffentlich etabliert sich dieses tolle Open Air an dieser tollen Location, nächstes Jahr dann wieder!
Billing
BULLET (SWE)
CUSTARD (D)
GLORYFUL (D)
EVIL INVADERS (BEL)
ERADICATOR (D)
GRAVE DIGGER (D)
FREEDOM CALL (D)
CAGE (USA)
METAL INQUISITOR (D)
BLOODBOUND (SWE)
WARRANT (D)
BILLION DOLLAR BABIES (SWE)
DRAGONSFIRE (D)
IRON FATE (D)
SPLIT HEAVEN (MEX)
JAVELIN (D)

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